Initiative #60: Den Gordischen Knoten zerschlagen

Dem deutschen Schulsystem fehlen Tausende von Lehrkräften – dazu gibt es solide Berechnungen -, die Kultusministerien waren bisher nicht gerade erfolgreich dabei, Abhilfe zu schaffen (so sie das Problem als solches überhaupt eingestanden). Ich beschreibe mal ein paar Aspekte des unentwirrbaren Knotens und dann meinen Vorschlag ihn zu zerhauen. Kritik/Weiterentwicklung/Verbesserungen ausdrücklich gewünscht!

Verknotet, verworren, verschlungen

Wie viele fehlen denn überhaupt?

Wie viele Lehrkräfte werden in Zukunft überhaupt fehlen oder vorhanden sein? Der Bildungsforscher Klaus Klemm (und mit ihm der Verband Bildung und Erziehung) berechnet die Zahlen anders als die Kultusministerkonferenz.

Die KMK meint also, es wären bis zum Jahr 2035 über 100 000 Lehrkräfte mehr vorhanden als Klaus Klemm berechnet hat. Den Bedarf sehen beide auch unterschiedlich:

(Quelle siehe obige Folie)

Um zu verstehen, was Klaus Klemm mit der “Reformvariante” meint, hier noch diese Folie (dieselbe Quelle):

Der VBE sagt dazu:

Der tatsächliche Lehrkräftemangel bis 2035 wird nochmals höher als für 2030 berechnet sein und um ein Vielfaches höher als von der KMK prognostiziert ausfallen. Es ist im mehrfachen Sinne fatal und nicht hinnehmbar, wenn sich die Politik angesichts kaum kalkulierbarer und nicht einberechneter Mehrbedarfe, wie sie aktuell etwa die Auswirkungen der Flüchtlingsbewegungen und Pandemie erfordern, seriöser Berechnungen auf Basis bekannter Parameter verschließt und den immensen Handlungsdruck hierdurch wiederholt kaschiert.

Was gibt es denn für Lösungsideen für das Problem?

Ich hab da mal ´ne Mindmap erstellt.

Für eine größere Ansicht aufs Bild klicken.

Arbeitszeit erhöhen!

Das ist in Bayern für Grundschullehrerinnen bereits Wirklichkeit geworden:

  • Die Teilzeituntergrenze wird heraufgesetzt.
  • Man führt ein verpflichtendes Arbeitszeitkonto ein (heißt erst Mehrarbeit – dann Normalstundenmaß – dann Rücksparphase).
  • Man erhöht nach und nach die Lebensarbeitszeit; dabei wird auch mal zu fiesen Tricks geraten.
  • Die Sache mit dem Vorruhestand soll man sich erst mal abschminken.
  • Sabbatjahre kann es nicht mehr geben.

Lehrkräfte kondensieren!

Soll heißen: Die ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer machen nur noch das Allerwichtigste, den Unterricht nach der Stundentafel. Die Extras wie Arbeitsgemeinschaften, Differenzierungsstunden, Förderangebote, Vorkurse usw. müssen wegfallen, die vom Staat finanzierten Lehrerstunden für den gebundenen Ganztag werden weiter zusammengestrichen. Oder man findet für diese Randstunden des Schulbetriebs …

Seiteneinsteiger!

Nach dem Motto: “Irgendwie kann doch jede/r unterrichten”, wirbt man um Akademiker aller möglichen Fachrichtungen.

Man entdeckt plötzlich ganz neu die Tutoren, die doch als ältere SchülerInnen gewiss den jüngeren zur Seite stehen können.

Man dehnt das Kompetenzfeld für Erzieher/innen und sonstige schul- und unterrichtsnahe Ausbildungen erheblich aus und bezieht sie stärker ein. Im orwellschen Neusprech nennt man das dann “Multiprofessionalität”. Yeah, sounds good!

Davon dass uns bayerischen Schulleitern schon geraten wurde, lieber Eltern als Aufsichten in eine Klasse zustellen als Randstunden ausfallen zu lassen, möchte ich weiter gar nicht berichten.

Bild von Steve Norris auf Pixabay

Head hunting!

  • Schon gehört, oder: Die Bundesländer versuchen, sich gegenseitig die LehrerInnen abzujagen. In diesem Blog hat ein junger bayerischer Kollege schon mal davon erzählt, warum er jetzt in Thüringen unterrichtet.
  • Die Sache mit den “Zweitqualifikationen” ist vielleicht sogar als Teilerfolg zu werten: Wer als ausgebildeter Realschul- oder Gymnasiallehrer nicht unterkommt, erhält die Chance, sich für Mittel- oder Grundschule weiter zu qualifizieren: Ein paar zusätzliche Nachmittage mit Fortbildungen, ein erhöhtes Stundenmaß, dafür eine Gehaltsstufe weniger – und schon scheint das Problem gelöst. Nur dass viele davon wieder in ihr angestammtes Lehramt zurückkehren, wenn sich die Möglichkeit eröffnet!
  • Kann man mit solch modischen Webauftritten wirklich neue LehrerInnen für Grund- und Mittelschule werben? AbiturientInnen können sich durchklicken bis zu den Lehrergehältern und dann eine wirtschaftliche Entscheidung treffen – die gegen Grund- und Mittelschule ausfallen muss!

Exotische Lösungen!

Man muss erfinderisch sein. Hier in Sachsen-Anhalt zum Beispiel wurde der Vorschlag eingebracht, die Unterrichtswoche auf vier Tage zu kürzen. Das ist natürlich nicht als Maßnahme gegen den Lehrermangel zu verstehen, sondern als Erprobung neuer Unterrichtsformen…

A13 auch für Grundschul- und MittelschullehrerInnen!

Es klang schon öfters mal durch, dass an den materiellen Bedingungen der Lehrämter was nicht stimmt und dazu beiträgt, dass AbiturientInnen sich eher den “höheren” Schularten zuwenden als den “unteren”: Grund- und Mittelschullehrkräfte beginnen mit der Gehaltsstufe A12, die anderen Lehrämter (RS, WS, Gym, Sonderschule, Berufsschule) beginnen alle mit A13. Dafür haben die schlechter Bezahlten auch ein höheres Wochenstundenmaß, nämlich 28 WStd. (29 mit Arbeitszeitkonto) für Grundschulmenschen, bzw. 27 WStd. für Mittelschullehrkräfte, gegenüber 24 WStd. (RS) oder 23 WStd. (Gym).

Entsprechend wird (besonders von GEW und BLLV) schon lange die Forderung erhoben, das Grundgehalt oder die Arbeitszeit oder beides allgemein anzupassen.

Diese Forderungen erzeugen regelmäßig einen bedingten Reflex bei den einflussreichen Philologen (also GymnasiallehrerInnen): Erstens gäbe es da ja wohl Unterschiede in der Wissenschaftlichkeit der Ausbildung, im Ausmaß von Korrekturarbeiten und in den Anforderungen des Abiturs, die diesen Gehaltsabstand rechtfertigten.

Zweitens: Wenn die anderen A13 kriegen, dann wollen wir A14, und schon passt es wieder.

Damit wären natürlich die Länderkassen gnadenlos überfordert und deshalb gibt es an diesem Punkt Stillstand, nichts bewegt sich mehr, der Gordische Knoten ist geschlungen!

Hau drauf, Alexander!

Deckenfresco (Ausschnitt) in der Salzburger Residenz von Martino Altomonte

Einerseits, denke ich, wäre die Gehaltsanpassung die unbedingte Voraussetzung dafür, mehr junge Menschen für den Unterricht in Grund- und Mittelschulen zu begeistern.

Andererseits bilden die Traditionen und Erbhöfe – und die Finanzminister – eine unüberwindliche Hürde für diese Maßnahme.

Also muss ein neues Lehramt her, das diese beiden Problem nicht löst, aber die Klippen umschifft.

Stufenlehrer/in!

Ein/e Stufenlehrer/in ist ausgebildet für und unterrichtet in…

  • Primarstufe 1 bis 4
  • oder in der Sekundarstufe 1 unten (Jgst. 5 bis 7)
  • oder in der Sekundarstufe 1 oben (Jgst. 8 bis 10)
  • oder in der Sekundarstufe 2 (Jgst. 11 bis 13)

…und zwar in allen Schularten! Und erhält A13 Anfangsgehalt!

Dieser neue universitäre Ausbildungszweig hätte den hübschen Nebeneffekt, dass es keine Lehrer-Überhänge in der einen Schulart bei gleichzeitigem Mangel in der anderen Schulart mehr geben muss. Wer Mathe in den Jgst. 8 bis 10 in der Realschule kann, kann es auch in der Mittelschule oder im Gymnasium. Und kann zum gleichen Gehalt in der einen wie der anderen Schulart eingesetzt werden.

Aber, aber, aber…!

Natürlich gibt es dazu gleich Einwände und Fragen:

Aber die Qualität!

“Wir verlieren doch – wenn nicht methodische, so doch fachliche – Qualität, wenn so ein pauschales Studium absolviert wird.”

Diese Behauptung weise ich von der Hand: Wenn der Zielkorridor so eng gefasst ist (drei Jahrgangsstufen), dann können die Unterrichtsfächer gut vertieft studiert werden.

Außerdem kann man mal neu nach dem Verhältnis von pädagogisch-methodischen Kompetenzen und den fachlichen Fähigkeiten fragen und überlegen, welche Lehrerausbildung den SchülerInnen wohl am besten nützt.

Aber die Grundschullehrerinnen!

“Da ändert sich in der Grundschule doch nichts. Wieso sollen das dann Stufenlehrerinnen mit einem höheren Gehalt sein?”

Da kann sich was ändern, und zwar zweierlei:

Einerseits kann man als Grundschullehrerin auch Sonderpädagogin sein – müsste man sogar angesichts der Anforderungen inklusiven Unterrichtens! Und umgekehrt!

Andererseits könnte man auch hier eine Spezialisierung aufnehmen, die nach meinen Erfahrungen im Schulalltag ohnehin der allgemeinen Praxis entspricht, nämlich die Konzentration auf die Jahrgangsstufen 1/2 und auf 3/4. In allen Grundschulen, die ich kenne, spezialisieren sich die Lehrerinnen auf eine dieser beiden Stufen. Die eine macht halt lieber (und gekonnter) Anfangsunterricht; die andere hat es lieber mit Kindern zu tun, bei denen die Grundkenntnisse und -fertigkeiten schon vorhanden sind und ausgebaut werden wollen. Why not?

Aber das ist doch ungerecht!

“Das ist ungerecht allen jetzigen Grund- und MittelschullehrerInnen gegenüber, die dann die gleiche Unterrichtsarbeit verrichten wie die StufenlehrerInnen, aber schlechter bezahlt werden!

Und das stimmt, ist allerdings nicht das letzte Wort: Es muss die Möglichkeit geben, dass sich die Lehrkräfte an GS und MS nach- oder um- oder zusatzqualifizieren können zur Stufenlehrkraft und damit dann das gleiche Gehalt bekommen.

Gordischer Knoten gelöst?

Nicht, dass ich mich mit Alexander vergleichen wollte. Aber doch so: Wer eine bessere Lösung hat, möge sie ins Feld führen!

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