Es wird nicht besser: Jedes Jahr schließen zahlreiche Absolventen ihr Lehramtsstudium ab, hoffen auf eine Anstellung – und müssen feststellen, dass sie nicht gebraucht werden.
Ceterum censeo. Jedes Mal, wenn die Einstellungszahlen veröffentlicht werden, komme ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Hier nun mal eine zusammenfassende Betrachtungsweise: Ich habe die Einstellungszahlen der letzten vier Jahre in Diagramme umgewandelt, deren Säulen den Unterschied der Gesamtzahl an Absolventen (hell) und dem Anteil der Eingestellten (dunkel) verdeutlichen.
Einstellungen ins Gymnasium nach Prüfung
Einstellungen ins Gymnasium von der Warteliste
Einstellungen in die Realschule nach der Prüfung
Einstellungen in die Realschule von der Warteliste
Es wäre interessant, sich mal genauer anzusehen, worin im September 2016 die Gründe dafür lagen, dass alle Absoventen eingestellt wurden (dafür nur 4% von der Warteliste). Aber heute geht es mir mal um die schiere Menge.
Nicht gebrauchte RealschullehrerInnen: 6243
Nicht gebrauchte Gymnasiallehrkräfte: 10 228 (plus 1577 zum jeweiligen Halbjahr)
insgesamt: 18 048
Frustrierend, oder?
In dreieinhalb Jahren leistet es sich Bayern, über 18 000 Lehrer/innen auszubilden und dann ihrer Wege gehen zu lassen.
In Handwerk und Industrie nennt man die nicht mehr zu verwendenden Materialreste “Ausschuss”. So dürften sich diese jungen Menschen auch fühlen.
Da stellen sich einige Fragen:
Brauchen wir die nicht?

Das kommt darauf an, wie pädagogisch man denkt. Wenn es einem reicht, dass gerade in Realschulen und Gymnasien immer noch zahlreiche Klassen mit an die 30 SchülerInnen und einer Lehrkraft besetzt sind, dann sind diese JunglehrerInnen verzichtbar.
Wenn man allerdings auch nur ansatzweise in diesen Schularten so etwas wie Differenzierung oder individualisiertes Arbeiten haben will, dann würden die Überzähligen helfen, viele Potenziale zu entfalten. Was kein Luxusproblem ist, sondern für eine Nation, die im Wesentlichen nur die Ressource Bildung besitzt, eine Überlebensfrage.
Und was ist mit der Inklusion? Laut Schulgesetz sind alle Schulen in Bayern dazu verpflichtet, sich in Richtung Inklusion zu entwickeln. Die Erfahrungen vor Ort zeigen, dass dazu viel zu wenige PädagogInnen in den Klassen sind, so genannte “Profilschulen Inklusion” eingeschlossen.
Ein anderer Aspekt, nein: eine allgemeine Erfahrung, ist der Umstand, dass das Verhältnis von Lehrer- und Schülerzahl auf Kante genäht ist. Es gibt mobile Reserven. Aber es gibt auch Krankheitswellen, Schwangerschaften und daraus resultierende Beschäftigungsverbote. An meiner Schule, nur ein Beispiel unter vielen, mussten wir zum Halbjahr fast durchgehend auf die Unterstützung durch mobile Reserven verzichten, was Mehrarbeit von KollegInnen zur Folge hatte und viele entfallene Unterrichtsstunden.
Was machen die?
Die überzähligen JungpädagogInnen kommen hoffentlich unter in anderen Bundesländern, denen es in Bezug auf schulische Fachkräfte wesentlich schlechter geht als Bayern und die nicht einmal die Grundversorgung stemmen können.
In Bayern gibt es die Möglichkeit der Zweitqualifikation (hier das KM-Merkblatt für die Grundschule und hier für die Mittelschule). Das bedeutet etwas überspitzt: Die gut ausgebildeten Realschul- und Gymnasiallehrkräfte qualifizieren sich durch Fortbildungen und Praxis im Verlauf von noch einmal zwei Jahren für den Einsatz an Grund- und Mittelschulen, um dann eine Gehaltsstufe niedriger eingestellt zu werden.
Leider habe ich keine Zahlen gefunden, sonst wäre es interessant zu wissen, wie viele der ausgebildeten Lehrkräfte dann in andere Berufe wechseln um überhaupt ein Einkommen zu haben.
Kann man da nichts machen?
Doch. Man (also die Entscheidungsträger) könnten den Abiturientinnen neben den traditionellen Ausbildungsgängen nach Schularten auch noch ein Studium für Stufenlehrkräfte anbieten. Dann können sie sich entscheiden, ob sie sich für Schularten oder für Altersgruppen qualifizieren lassen wollen. Letzteres wäre die sicherere Variante. Das geht aber nicht, weil: CSU.
In diesem Blog bereits erschienen:
Fail #35: 70 Prozent werden nicht gebraucht – oder doch?
Fail #26: Lehrerberuf als Notlösung?
Fail #20: Lehrerarbeitslosigkeit
Fail #18: „Addition des Grauens“
Fail #17: In den Klauen des Schweinezyklus‘
Fail #13: Lehrermangel und kein Ende
7 comments On Fail #38: Ausgebildet und abserviert
Pingback: Sichtweisen #63: Lehrermangel in Bayern – Pädagokick ()
Pingback: Fail #53: Nase voll - Pädagokick ()
Sie fragen treffend in Ihrem Text, was fertig ausgebildete und examinierte Gymnasiallehrer – wie ich einer bin mit der Fächerkombination L/E – nach ihrem quasi Rauswurf aus dem System so machen. Nun ja…
Zunächst einmal zu meiner Vita:
Ich hatte schon in der Kollegstufe die Leistungskurse Latein und Englisch, worin ich sehr gut war. In Latein standen durchgängig 15 Punkte auf den Klausuren, in Englisch hielt ich mich im Bereich von Einsern und Zweiern auf.
Dann studierte ich nach dem Zivildienst diese Fächer mit Begeisterung, machte ein Auslandssemester in den USA usw.
Das Staatsexamen kam…und eine kleine Ernüchterung machte sich breit: Offenbar wurden alle männlichen Prüflinge deutlich schlechter bewertet als die Damenwelt! Kaum zu glauben, aber wahr. Es traf alle Männer härter als eigentlich möglich. Der Schnitt war bei mir dennoch gut.
Im Referendariat hatte man seine Problemchen, aber auch gute Tage. Die Bewertung war bald fair, bald asozial ungerecht(fertigt). Aber an und für sich machte man seine Arbeit mit Freude. Der Gesamtschnitt war gut und weit mehr als nur “verbeamtungsfähig”.
Zuletzt wurde jedoch klar, dass aus meinem Seminar mit 23 Referendaren gerade einmal drei Personen ein Einstellungsangebot unterbreitet wurde (natürlich meist weit weg vom Wohnort, sodass ein Umzug oder eine Zweitwohnung nötig wurden).
Ernüchterung machte sich beim Rest breit:
Viele gingen nach Berlin, einige blieben im Süden (BW), andere verließen das Land ganz. Mancher diese Welt…
Befristete Verträge wollten ergattert werden, als wären sie Goldbarren, obschon sie bloßem Dreck sehr nahekommen. Man sehnte sich nach einem Beschäftigungsverhältnis, das man sonst niemandem zumuten würde. Wie ein Tagelöhner ohne Ziel und Halt kam man sich vor, rastlos, sinnlos, mutlos. Hauptsache, irgendwie Geld verdienen.
Mir persönlich sagte man nach anfänglicher Zusage eines Aushilfsvertrags in Vollzeit kurz vor den Sommerferien 2017 ab. Der Gymnasialdirektor hatte sich wohl verspekuliert. Kein Geld für so eine Stelle habe man auf einmal übrig. Traurig.
Was ich zur Lösung des Dilemmas tat: Ich machte mein Hobby (Young- und Oldtimer, Lackbearbeitung, Polieren) zwei Jahre lang zum Beruf und schuftete in einem Fahrzeugkarosserie- und lackierbetrieb.
Dort kümmerte ich mich ausgiebig um das Lackfinish (Schleifen und Polieren), war für Smart- und Spot-Repair von Kleinschäden verantwortlich, beseitigte (Lack-) Schäden jeder Art, bereitete Fahrzeuge auf, lackierte Kleinteile und -flächen, und war insgesamt für alles zuständig, was den Kunden glücklich macht.
Die Arbeit machte mir zwar Spaß, aber der Verdienst war mittelmäßig. Insgesamt merkte ich natürlich, dass ich nicht wirklich dorthin gehörte und meine Berufung eine gänzlich andere war.
2019 bekam ich nach vorangegangener “Blindbewerbung” von der Regierung von Oberfranken einen Jahresvertrag an einer Förderschule in Vollzeit; das war okay, aber dies hatte ich noch nie erlebt und schon gar nicht gelernt. Im Folgejahr wurde der Vertrag einfach um noch ein Jahr verlängert, ich kam dann an eine Berufsförderschule (Kolping). Akzeptabel war es dort ja, denn meine Kollegen waren top.
Eigentlich wollte ich noch ein weiteres Jahr dort eingesetzt werden, doch nach anfänglicher Zusage, ja sogar Garantie, der Reg. Ofr. wurde das alles vollends gecancelt. Es gab plötzlich gar nichts mehr für mich, keinerlei Aussicht auf Weiterbeschäftigung bestand mehr für mich – doch halt! Man bot mir kurzfristig eine 10-WS-Beschäftigung an bei weniger als der Hälfte des bisherigen Soldes. Bravo!
So viel Wortbrüchigkeit, Unaufrichtigkeit, Unehrlichkeit, Verlogenheit und Schönfärberei kann man sich nicht ausdenken!
Da meldete ich mich lieber arbeitslos. 60 % des letzten Gehaltes sind mehr als die 40 %, welche mir der Staat noch bieten wollte. Aushilfsverträge (schulartfremd) sind oft noch schlechter bezahlt als mein ALG!
Ich suche nach nun 4,5 Jahren wieder eine feste, unbefristete Vollzeitstelle an einem Gymnasium. Bewerbungen wurde en masse versandt, Rückmeldungen gab es nur wenige.
Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Additum: Als Nachhilfelehrer für Latein (und Englisch, was aber seltener verlangt wird) sehe ich immer wieder, wie unmotiviert, gleichgültig und fachlich inkompetent die werten verbeamteten Kollegen vorgehen, wie in Zeiten von Distanzunterricht sowie -lernen nichts gelehrt wird und man SchülerInnen wissentlich und absichtlich (?) geradezu geistig verhungern lässt.
Oft übernehme ich momentan die fachlich korrekte Ausbildung dieser SchülerInnen und siehe da: Sie können doch etwas!
Post Scriptum:
Ach ja, noch etwas möchte ich nicht unerwähnt lassen – auch wenn ich meine mentale Heimat nach wie vor in der gymnasialen Lehre von Fremdsprachen sehe, wollte ich eigentlich eine sog. Sondermaßnahme (mittlerweile im Narrativ die “Zweitqualifikation”) auf mich nehmen. Sogar für die Förderschule.
Dies wurde mir bis heute nie angeboten, trotz großen Zuspruchs seitens der Rektoren, unter welchen ich “diente”. Eine Bewerbung darum direkt bei der Regierung – wie man es eben auch machen kann und soll – blieb bis heute, also 1,5 Jahre später unbeachtet sowie unbeantwortet.
Danke für nichts, lieber Freistaat!
Lieber S. Sch, danke für diesen erschütternden biografischen Bericht. Ich finde es zu schade, dass er hier in den Kommentaren untergeht, darf ich daraus einen eigenen Blogeintrag machen? Evtl. unter dem richtigen Namen? Tauschen wir uns bitte per Mail aus: r.gruettner@arcor.de.
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