Fail #56: „Danke für nichts, lieber Freistaat!“

In dem Beitrag „Ausgebildet und abserviert“ berichtete ich von der absurden Situation, dass der Freistaat Bayern bestausgebildete Realschul- und Gymnasiallehrkräfte nicht anstellt, wo doch gleichzeitig an den Grund-, Mittel- und Förderschulen so viele Lehrerinnen und Lehrer fehlen, dass der Unterrichtsbetrieb nur mit Mühe, mit Quereinsteigern, mit Flickschusterei und manchmal gar nicht mehr aufrecht erhalten werden kann.

Dazu erreichte mich folgender Kommentar, der in erschütternder Deutlichkeit beschreibt, was die Nichtübernahme in den Staatsdienst im Einzelfall bedeuten kann. Aus nachvollziehbaren Gründen bevorzugt der Verfasser anonym zu bleiben. Zwischenüberschriften und Hervorhebungen sind von mir.

Teil I: Drei von 23

„Sie fragen treffend in Ihrem Text, was fertig ausgebildete und examinierte Gymnasiallehrer – wie ich einer bin mit der Fächerkombination L/E – nach ihrem quasi Rauswurf aus dem System so machen. Nun ja…

Zunächst einmal zu meiner Vita:

Ich hatte schon in der Kollegstufe die Leistungskurse Latein und Englisch, worin ich sehr gut war. In Latein standen durchgängig 15 Punkte auf den Klausuren, in Englisch hielt ich mich im Bereich von Einsern und Zweiern auf.

Dann studierte ich nach dem Zivildienst diese Fächer mit Begeisterung, machte ein Auslandssemester in den USA usw.

Das Staatsexamen kam…und eine kleine Ernüchterung machte sich breit: Offenbar wurden alle männlichen Prüflinge deutlich schlechter bewertet als die Damenwelt! Kaum zu glauben, aber wahr. Es traf alle Männer härter als eigentlich möglich. Der Schnitt war bei mir dennoch gut.

Im Referendariat hatte man seine Problemchen, aber auch gute Tage. Die Bewertung war bald fair, bald asozial ungerecht(fertigt). Aber an und für sich machte man seine Arbeit mit Freude. Der Gesamtschnitt war gut und weit mehr als nur „verbeamtungsfähig“.

Zuletzt wurde jedoch klar, dass aus meinem Seminar mit 23 Referendaren gerade einmal drei Personen ein Einstellungsangebot unterbreitet wurde (natürlich meist weit weg vom Wohnort, sodass ein Umzug oder eine Zweitwohnung nötig wurden).

Ernüchterung machte sich beim Rest breit: Viele gingen nach Berlin, einige blieben im Süden (BW), andere verließen das Land ganz. Mancher diese Welt…

Befristete Verträge wollten ergattert werden, als wären sie Goldbarren, obschon sie bloßem Dreck sehr nahekommen. Man sehnte sich nach einem Beschäftigungsverhältnis, das man sonst niemandem zumuten würde. Wie ein Tagelöhner ohne Ziel und Halt kam man sich vor, rastlos, sinnlos, mutlos. Hauptsache, irgendwie Geld verdienen.

Mir persönlich sagte man nach anfänglicher Zusage eines Aushilfsvertrags in Vollzeit kurz vor den Sommerferien 2017 ab. Der Gymnasialdirektor hatte sich wohl verspekuliert. Kein Geld für so eine Stelle habe man auf einmal übrig. Traurig.

Was ich zur Lösung des Dilemmas tat: Ich machte mein Hobby (Young- und Oldtimer, Lackbearbeitung, Polieren) zwei Jahre lang zum Beruf und schuftete in einem Fahrzeugkarosserie- und lackierbetrieb.

Dort kümmerte ich mich ausgiebig um das Lackfinish (Schleifen und Polieren), war für Smart- und Spot-Repair von Kleinschäden verantwortlich, beseitigte (Lack-) Schäden jeder Art, bereitete Fahrzeuge auf, lackierte Kleinteile und -flächen, und war insgesamt für alles zuständig, was den Kunden glücklich macht.

Die Arbeit machte mir zwar Spaß, aber der Verdienst war mittelmäßig. Insgesamt merkte ich natürlich, dass ich nicht wirklich dorthin gehörte und meine Berufung eine gänzlich andere war.

Hier arbeitet ein hochqualifizierter Gymnasiallehrer. Symbolbild von pixabay.

2019 bekam ich nach vorangegangener „Blindbewerbung“ von der Regierung von Oberfranken einen Jahresvertrag an einer Förderschule in Vollzeit; das war okay, aber dies hatte ich noch nie erlebt und schon gar nicht gelernt. Im Folgejahr wurde der Vertrag einfach um noch ein Jahr verlängert, ich kam dann an eine Berufsförderschule (Kolping). Akzeptabel war es dort ja, denn meine Kollegen waren top.

Eigentlich wollte ich noch ein weiteres Jahr dort eingesetzt werden, doch nach anfänglicher Zusage, ja sogar Garantie, der Reg. Ofr. wurde das alles vollends gecancelt. Es gab plötzlich gar nichts mehr für mich, keinerlei Aussicht auf Weiterbeschäftigung bestand mehr für mich – doch halt! Man bot mir kurzfristig eine 10-WS-Beschäftigung an bei weniger als der Hälfte des bisherigen Soldes. Bravo!

So viel Wortbrüchigkeit, Unaufrichtigkeit, Unehrlichkeit, Verlogenheit und Schönfärberei kann man sich nicht ausdenken!

So viel Wortbrüchigkeit, Unaufrichtigkeit, Unehrlichkeit, Verlogenheit und Schönfärberei kann man sich nicht ausdenken!

Da meldete ich mich lieber arbeitslos. 60 % des letzten Gehaltes sind mehr als die 40 %, welche mir der Staat noch bieten wollte. Aushilfsverträge (schulartfremd) sind oft noch schlechter bezahlt als mein ALG!

Ich suche nach nun 4,5 Jahren wieder eine feste, unbefristete Vollzeitstelle an einem Gymnasium. Bewerbungen wurde en masse versandt, Rückmeldungen gab es nur wenige.

Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Teil II: Nachhilfe? Zweitqualifikation?

Wenige Rückmeldungen, keine Zusage. Bild von pixabay.

Als Nachhilfelehrer für Latein (und Englisch, was aber seltener verlangt wird) sehe ich immer wieder, wie unmotiviert, gleichgültig und fachlich inkompetent die werten verbeamteten Kollegen vorgehen, wie in Zeiten von Distanzunterricht sowie -lernen nichts gelehrt wird und man SchülerInnen wissentlich und absichtlich (?) geradezu geistig verhungern lässt.

Oft übernehme ich momentan die fachlich korrekte Ausbildung dieser SchülerInnen und siehe da: Sie können doch etwas!

Post Scriptum:

Ach ja, noch etwas möchte ich nicht unerwähnt lassen – auch wenn ich meine mentale Heimat nach wie vor in der gymnasialen Lehre von Fremdsprachen sehe, wollte ich eigentlich eine sog. Sondermaßnahme (mittlerweile im Narrativ die „Zweitqualifikation“) auf mich nehmen. Sogar für die Förderschule.

Dies wurde mir bis heute nie angeboten, trotz großen Zuspruchs seitens der Rektoren, unter welchen ich „diente“. Eine Bewerbung darum direkt bei der Regierung – wie man es eben auch machen kann und soll – blieb bis heute, also 1,5 Jahre später unbeachtet sowie unbeantwortet.

Danke für nichts, lieber Freistaat!

Teil III: Es wird nicht besser

Hochqualifiziert sein, aber nicht gebraucht werden? Bild von pixabay.

Hallo!

Zunächst möchte ich mich bei Ihnen für Ihre Reaktion bedanken. Es ist schön zu wissen, dass sich jemand für meine Situation interessiert.
Und dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, merkt man schnell, wenn man sich so manches Kollegium und Direktorat ansieht – Gleichgültigkeit wäre ein viel zu schwaches Wort für das, was einem dort entgegenschwappt.

Offenbar trifft man bei Ihnen einen Nerv mit dieser Thematik, gerade wenn ich mir die vielen Einträge dazu auf Pädagokick anschaue.
Ich dürfte mittlerweile so ziemlich alles dort gelesen haben, natürlich auch zu anderen Themen wie dem zu reformierenden Lehramtsstudium und der Einführung einer Gesamtschule. Aber gut, das sind andere Baustellen.

Ich konnte und wollte nicht jedes einzelne Detail im Text unterbringen bzw. einweben. Viele Ereignisse und Vorgänge waren wesentlich schlimmer, d.h. kräftezehrender, und langwieriger als dargestellt.
Wie vielen meiner ehemaligen Kollegen fehlte auch mir zwischenzeitlich immer wieder die Orientierung, was auch dem Fehlen einer vernünftigen zentralen Stellenbörse geschuldet ist, die auch gepflegt und vernünftig organisiert gehört, damit wenigstens die verbliebenen und notdürftig zu besetzenden Stellen vermittelt werden können.

Auch fehlen in dem Kommentar meine Erfahrungen zum Ausstieg aus dem Lehramt und zum Einstieg in die Privatwirtschaft. Dies ist enorm hart, wie Sie sich womöglich vorstellen können. Man kämpft auch gegen immense Vorurteile („Lehrer können doch nicht arbeiten“, „Lehrer sind faule Stinker“ etc.) an. Oft scheinen Lehrkörper dort als Leerkörper zu gelten und somit „uneinstellbar“ zu sein.

In diesem Zusammenhang kann ich meinem damaligen Chef (Lackiererei: 10/2017 – 9/2019) gar nicht genug danken, denn er gab mir eine Chance, erkannte mein Potential und ließ mich das auch entsprechend spüren (ich war am Ende gar Abteilungsleiter im „Finish“). So verdiente ich mir Respekt, auch bei den Kollegen, und hatte eine ganz gute Zeit dort.
Andere Unternehmen jedoch sagten mir reihenweise pauschal ab, selbst dort, wo ein Lehrer noch besser unterkommen könnte als im Handwerk, nämlich in der Datenerfassung, Sekretariat, Marketing/Werbung, Redaktion etc. – no chance! Höchstens über Vitamin B könnte man in solchen Bereichen wohl unterkommen – aber woher nehmen?

Zu Beginn meiner Arbeitslosigkeit im Herbst 2021 hatte ich ein schönes Erlebnis mit der Firma Würth.
Dort hatte ich mich auf eine Stelle im Raum B. als Außendienstler beworben, denn ich wollte zumindest einmal in diesen Beruf „hineinschnuppern“. Ich wurde zu einem Vorstellungsgespräch nach N. eingeladen, welches äußerst positiv verlief.
Der Personaler, ein grüner Kommunalpolitiker aus dem Raum R., war entsetzt darüber, dass ich es als voll ausgebildeter Gymnasiallehrer überhaupt nötig hatte, bei ihm aufzuschlagen: „Ich finde es eine Schande für unser Land, dass man jemanden wie Sie – mit Ihrer Ausbildung und Ihren Fähigkeiten – nicht als Lehrer arbeiten lässt!“

Ich finde es eine Schande für unser Land, dass man jemanden wie Sie – mit Ihrer Ausbildung und Ihren Fähigkeiten – nicht als Lehrer arbeiten lässt!

Ein Personaler


Ich wurde in die zweite Runde eingeladen und durfte einen Tag lang einen Außendienstler begleiten. Man hätte mich auch bei Würth sehr gerne genommen, aber mir widerstrebte jene Tätigkeit letztendlich doch zu sehr, was ich auch freimütig zugab. Der Personaler rief mich sogar nochmals an und wir führten ein angenehmes Gespräch über meine gewonnenen Eindrücke, wobei er mir auch nochmals Mut machte, den Beruf des Lehrers doch noch nicht ad acta zu legen.
So viel Wertschätzung und guten Umgang hatte ich nie zuvor, v.a. im Kontext der Lehrerexistenz, erfahren!

Redundante Personalakquise

Noch ein paar Worte zu Würth: Interessant ist dort auch das System der „redundanten Personalakquise“. Man sorgt extrem frühzeitig für Nachfolger von Mitarbeitern, die voraussichtlich ausscheiden werden. Klar verursacht dies zusätzliche Kosten, aber dafür hat man top eingearbeitete neue Mitarbeiter, die zudem sofort bereitstehen, um den Job eines anderen Mitarbeiters zu übernehmen.

Aber genug davon. Auf Ihre Frage, ob Sie meine Ausführungen nominatim veröffentlichen dürften, antworte ich mal „mit Vorsicht“.
Ich bin nämlich gerade in der Jobfindungsphase und möchte nicht riskieren, dass ein Entscheidungsträger Anstoß nimmt (woran auch immer), zumindest solange bis meine angestrebte Stelle bei einem … Gymnasium in trockenen Tüchern ist. Also vorerst würde ich dringend davon abraten, meinen vollen Namen ins Spiel zu bringen.

Danke jedenfalls für Ihren tollen Blog und für Ihre klare Sicht auf die Dinge! Leider interessieren sich zu wenige dafür oder machen sogar noch mit bei der Verfälschung der Sachverhalte.

Mit den besten Grüßen

S. Sch.

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