Meine Kinder und ich waren heute mit 25 000 anderen Menschen, überwiegend Schüler:innen, auf dem Königsplatz in München und haben am Klimastreik teilgenommen. Weitere Zigtausende waren in anderen deutschen Städten auf der Straße. Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes sagt, das darf nicht sein!
Das sagt der Vorsitzende
(Alle Aussagen zitiert nach dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.)
Berlin. Der Deutsche Lehrerverband (DL) kritisiert die Teilnahme von Schülerinnen und Schülern am Freitag weltweit stattfindenden Klimastreik. „Wir lehnen es ab, dass die Schulpflicht zugunsten politischer Aktionen – etwa im Rahmen eines sogenannten Klimastreiks – aufgehoben wird“, sagte DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Neutral sein!
Er begründete dies mit der Gefährdung der notwendigen politischen Neutralität des Staates, der für den Schulbetrieb verantwortlich sei.
Keinen Unterschied machen!
„Es stellt sich ansonsten die Frage, für welche politischen Aktionen man schulfrei bekommen würde und für welche nicht. Darf man dann auch bei einer Demo gegen den Welthunger, für den Frieden in der Welt, für die Befreiung Palästinas oder gegen ‚Überfremdung‘ schulfrei nehmen?“, so Meidinger. „Die Schule darf nicht zwischen ‚guten‘ erlaubten und ‚schlechten‘ unerlaubten Aktionen unterscheiden.“
Ohne Schwänzen!
Meidinger verwies darauf, dass auch in der Schule Zeichen gegen den Klimawandel gesetzt werden könnten – „ohne dafür den Unterricht zu schwänzen“. Als Beispiel nannte er Engagement von Kindern und Jugendlichen in schulischen Arbeitsgruppen, Aktionen im Unterricht, und Schuldebatten. „Schule und Engagement für eine bessere Umwelt sind also keine Gegensätze“, so Meidinger.
Mit Milde bestrafen!
Er plädierte allerdings für Milde bei der Bestrafung von Klimastreikenden von Schulen. „Bei einmaligen Verstößen gegen die Schulpflicht im Rahmen von Fridays for Future sollte nicht überzogen, sondern angemessen reagiert werden. Etwa, indem die betroffenen Schülerinnen und Schüler den versäumten Unterricht nachholen müssen“, sagte Meidinger dem RND.
Das sagt der Schulleiter
Der Staat ist politisch neutral?
Holla! Seit wann denn das? Nimmt man die jeweilige aktuelle Regierung als “den Staat”, dann sind das derzeit stark in der Wolle gefärbte Konservative, die wenig dazu beitragen, dass die Erde konserviert wird. Ihr Schutzinstinkt erstreckt sich nachweislich mehr auf die derzeitige Wirtschaftsweise als auf die Lebensverhältnisse der Generationen nach uns. Wenn ich sage “nachweislich”, dann beziehe ich mich unter anderem auf die schallende Ohrfeige, die das Bundesverfassungsgericht “dem Staat” in diesem Frühjahr gegeben hat – ausgelöst übrigens durch Marlene, die heute in München auf der Bühne stand und ihre Geschichte erzählt hat.
Keinen Unterschied machen?
Doch, natürlich. Es gibt strittige Themen, da muss man vorsichtig sein, da hat er Recht. Aber an der Klimasituation ist nichts unstrittig! Die Folgen sind bereits allerorten zu spüren, die Kipp-Punkte nah oder bereits erreicht (siehe unten Fakt 11) und das Votum “der Wissenschaft” eindeutig, wenn man denn davon ausgehen kann, dass die 26 800 Wissenschaftler von Scientists4Future nicht alle doof oder verblendet sind. Hier kann man zahlreiche ihrer Aufrufe nachlesen, sich am Klimastreik zu beteiligen.

Quelle: https://de.scientists4future.org/ueber-uns/stellungnahme/fakten/
Das muss ohne Schwänzen gehen?
Hier kommt der große Gesetzes-Hammer: SCHULPFLICHT! Ja, keine Frage. Dem würde ich auch zustimmen, wenn es um Befindlichkeiten ginge (“Überfremdung”), um Fragen von begrenzter Reichweite (Legalisierung von Marihuana) oder um politische Grabenkriege (Palästina). Der große Unterschied, der dem großen Vorsitzenden offenbar noch nicht deutlich genug geworden ist: Hier geht es um die EXISTENZ!
Es geht um die Existenz
Die so umstrittene, aber zurecht aggressive Greta hat in Davos den Politikern vorgehalten: Das Haus brennt bereits – aber ihr geratet nicht in Panik! Die Lage ist einfach zu ernst, um über die Einhaltung von Schulpflicht und Neutralität zu räsonieren. Und da “der Staat” sich nun mal erwiesener Maßen als zu passiv oder sogar resistent gebärdet, können die Schüler:innen sich nicht nur einfach in schulischen Arbeitsgruppen zusammenkuscheln oder im vorgegebenen Laufstall der Schule Aktionen aufführen. Sie sind gezwungen, das Gesetz zugunsten des Rechts und der Verfassung beiseite zu stellen!
Verantwortungsgefühl! Verantwortungsfreudigkeit! Verantwortungsbewusstsein!
Bayerische Verfassung Art. 131
Ja: die Verfassung! Artikel 129 der Bayerischen Verfassung schreibt die Schulpflicht fest, Artikel 131 setzt als oberste Bildungsziele unter anderen das Verantwortungsgefühl und die Verantwortungsfreudigkeit und das “Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt”. Na, dann freuen wir uns doch, dass so viele Heranwachsende diese Verantwortung wahrzunehmen bereit sind (und dafür auch schulischen Ärger in kauf nehmen).
Mit Milde bestrafen
Nicht überziehen, sondern angemessen reagieren, indem die Schüler:innen zum Beispiel den versäumten Unterricht nachholen müssen? “Unterricht als Strafe” ist ein interessanter Ansatz. Empfindet der Herr Vorsitzende Unterricht per se als etwas Unangenehmes und nur dann Vollzogenes, wenn man eine bestimmte Zeit anwesend war? Erfolgreicher Unterricht wird doch nicht in Zeiteinheiten gemessen, sondern in gefallenen Groschen: Es geht um Verstehen, Kapieren, Checken, Schnallen, Durchblicken, aber doch nicht um die 45-Minuten-Einheiten, die mal mit mehr, mal mit weniger innerer Beteiligung abgesessen werden. Oh je!
Wie weiter?
Ein erstes Urteil ist gesprochen, aber die Bundesländer weigern sich hartnäckig dieses auch umzusetzen. Deshalb haben Marlene und die Deutsche Umwelthilfe weitere Klagen auf den Weg gebracht. Ich rechne damit, dass sie damit weitestgehend Erfolg haben.

Die besten Sprüche auf den Demos heute
Seas are rising, so are we!
Gaanz dünnes Eis!
Oma, was ist ein Schneemann?
Entweder Schluss mit Kohle oder Schluss mit Klima!
Gegen den Klimawandel gibt es keinen Impfstoff!
Climate is changing, why aren´t you?
Es gibt übrigens auch Pädagogen 4 Future.
Nachtrag
Ich zitiere hier eine Passage von Franz Alt auf Telepolis:
Die Unicef, die Kinderhilfsorganisation der Uno, hat kürzlich festgestellt, dass durch den Klimawandel eine Milliarde Kinder betroffen sein werden: Sie werden sterben oder von einer schweren Krankheit wie Malaria betroffen sein. Der Bericht “Die Klimakrise ist eine Krise der Kinderrechte: Einführung des Klima-Risiko-Index für Kinder” ist die erste umfassende Analyse von Klimarisiken aus der Perspektive von Kindern.
Wenn in dieser Situation ein Kanzlerkandidat wie Armin Laschet selbst bei einer Hochwasser-Katastrophe mit 180 Toten und mit 30 Milliarden Schäden sagt: “Man kann doch nicht wegen eines solchen Tages die Politik ändern”, dann ist die Angst der Jungen über diese Haltung älterer Politiker weiß Gott berechtigt.
Viele fragen sich, was muss denn noch passieren bis auch alte Politiker anfangen zu begreifen, was der uns alle bedrohende Klimawandel mit den nächsten Generationen anstellen wird? Die Wissenschaft ist da ganz eindeutig: Der Klimawandel ist auch in Deutschland angekommen und Starkregen werden häufiger und heftiger.
Das Problem bei dieser Bundestagswahl: Leider gibt es nur 2.8 Millionen Erstwähler, aber insgesamt knapp 60 Millionen Wählerinnen und Wähler. Wie also sollen bei diesem Ungleichgewicht die Ängste der Jungen berücksichtigt werden? Jungwähler sagen bei Umfragen, dass sie zu etwa 50 Prozent die Grünen wählen, doch sie wissen auch, dass sie ein kleine Minderheit sind und viele verzweifeln daran und bekommen noch mehr Angst.
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