Es wird unter Pädagog*innen oft behauptet, eine positive Fehlerkultur würde den Schüler*innen beim Lernen entgegenkommen; eventuell würde das auch zu besseren Leistungen führen. Fabrizio Butera und Kolleg*innen von den Universitäten in Bologna und Ferrara haben das mal genauer untersucht.
Bei den folgenden Zitaten gebe ich zuerst die Übersetzung von deepL wieder – in meinen Augen ein sehr leistungsstarkes Werkzeug – und dann den englischen Originaltext aus dieser Arbeit:
Soncini, A., Visintin, E. P., Matteucci, M. C., Tomasetto, C. & Butera, F. (2022). Positive error climate promotes learning outcomes through students’ adaptive reactions towards errors. Learning and Instruction 80, 101627. doi:10.1016/j.learninstruc.2022.101627

Zusammenfassung
Fehler sind ein integraler Bestandteil des Lernprozesses und eine Gelegenheit, Fähigkeiten und Wissen zu erweitern, aber sie werden im Klassenzimmer oft entmutigt, sanktioniert und verspottet. In dieser Studie wird untersucht, ob die Wahrnehmung der Schüler, Teil eines fehlerfreundlichen Klassenzimmers zu sein (d.h. ein positives Fehlerklima im Klassenzimmer), über die adaptiven Reaktionen der Schüler auf Fehler positiv mit den Lernergebnissen der Schüler verbunden ist.
Insgesamt 563 italienische Mittelschüler aus 32 Mathematikklassen füllten einen Fragebogen zu ihrer Wahrnehmung des Fehlerklimas in der Klasse und ihren Reaktionen auf Fehler aus. Die Mathematiknoten der Schüler wurden als Indikator für das Niveau ihrer Lernergebnisse herangezogen. Ein mehrstufiges Modell zeigte, dass das wahrgenommene Fehlerklima im Klassenzimmer über erhöhte adaptive Reaktionen auf Fehler positiv mit den Mathenoten zusammenhängt.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein fehlerfreundlicher Unterrichtskontext mit der adaptiven Anpassung der Schüler an Fehler und mit besseren Lernergebnissen in Mathematik verbunden ist.
Errors are an integral part of the learning process and an opportunity to increase skills and knowledge, but they are often discouraged, sanctioned and derided in the classroom. This study tests whether students’ perceptions of being part of an error-friendly classroom context (i.e., a positive classroom error climate) is positively related to students’ learning outcomes via students’ adaptive reactions towards errors.
A total of 563 Italian middle school students from 32 mathematics classes completed a questionnaire on their perceptions of classroom error climate and their reactions towards errors. Students’ math grades were used as indicators of their level of learning outcomes. A multilevel model showed that perceived classroom error climate was positively related to math grades via increased adaptive reactions towards errors.
Our findings revealed that an error-friendly classroom context is associated with students’ adaptive adjustment to errors and to better learning outcomes in mathematics.

Schüler*innen sehen Fehler als etwas Hilfreiches an
Unsere Ergebnisse bestätigen frühere Befunde (Steuer et al., 2013; Tulis et al., 2018), die zeigen, dass die Teilnehmer im Durchschnitt ein insgesamt positives Fehlerklima wahrnahmen, positive Überzeugungen über Fehler hatten und nach Fehlern adaptiv reagierten.
Obwohl ein systematischer interkultureller Vergleich den Rahmen der vorliegenden Studie sprengen würde, sei darauf hingewiesen, dass andere Untersuchungen, die in verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Messmethoden durchgeführt wurden, ähnliche Ergebnisse lieferten.
Pan und Kollegen (2020) fanden heraus, dass kanadische und US-amerikanische Schüler der Meinung sind, dass das Machen von Fehlern Teil des Lernprozesses und positiv für das Lernen ist. Sie bejahten den Wert der Fehlerkorrektur, aber nur eine Minderheit von ihnen äußerte die Motivation, sich nach einem Fehler mehr anzustrengen. Kyaruzi und Kollegen (2020) berichteten, dass tansanische Schüler dazu neigen, Fehler für ihr Lernen zu nutzen und ihre Lehrer nach Fehlern als unterstützend wahrnehmen.
Our results corroborated previous findings (Steuer et al., 2013; Tulis et al., 2018), showing that participants on average perceived an overall positive error climate, held positive beliefs about errors and reacted adaptively after erring. Although a systematic intercultural comparison is beyond the scope of the present study, it should be noted that other research carried out in different countries with different measures reported similar findings. Pan and colleagues (2020) found that Canadian and US students believed that making errors is part of the learning process and something positive for learning. They endorsed the value of error correction, but only a minority among them expressed motivation to try harder after erring. Kyaruzi and colleagues (2020) reported that Tanzanian students tended to use errors fruitfully for their learning and perceived their teachers as supportive after erring.
Die fehlerfreundliche Haltung der Lehrer*innen spielt eine zentrale Rolle
Darüber hinaus unterstützen unsere Ergebnisse frühere Erkenntnisse über die fehlerbezogenen Praktiken der Lehrkräfte. Die Dimensionen des wahrgenommenen Fehlerklimas hängen weitgehend mit den Einstellungen der Lehrkräfte (die ersten vier Dimensionen) und dem Umgang mit den Reaktionen und Fehlern der Mitschüler (die anderen vier Dimensionen) zusammen.
Die hohe Bewertung der positiven affektiven Reaktionen der Lehrkräfte, der unterstützenden Verhaltensweisen und der fehlerbasierten Lehrmethoden (z. B. die Dimension Fehleranalyse) durch die Schüler steht in Zusammenhang mit besseren Leistungen, geringerer Angst vor Fehlern und einer positiveren Wahrnehmung des Klassenklimas (siehe Heinze et al., 2012; Kyaruzi et al., 2020; Rach et al., 2013; Tulis, 2013). Obwohl es kulturelle Unterschiede im Umgang der Lehrkräfte mit Fehlern geben kann (Santagata, 2005; Stigler & Hiebert, 1999), bestätigen diese Ergebnisse die Idee, dass Lehrkräfte eine zentrale Rolle dabei spielen, wie Schüler auf Fehler reagieren und sie effektiv zum Lernen nutzen.
Furthermore, our results support prior findings on teachers’ error-related practices. Indeed, the perceived error climate dimensions are largely related to teachers’ attitudes (the first four dimensions) and management of classmates’ reactions and errors (the other four dimensions). Students’ high rating of teachers’ positive affective responses, supportive behaviours, and error-based teaching methods (e.g., analysis of errors dimension) are related to students’ better achievement, lower fear of making errors and more positive perceptions of the classroom climate (see, Heinze et al., 2012; Kyaruzi et al., 2020; Rach et al., 2013; Tulis, 2013). Overall, although cultural differences in teachers’ error handling practices may exist (Santagata, 2005; Stigler & Hiebert, 1999), these findings corroborated the idea that teachers have a pivotal role in determining how students react to errors and use them effectively for learning.

Fazit
Das sind jetzt alles keine wahnsinnig neuen Erkenntnisse, aber doch bestätigen sie die oft aufgestellt Behauptung, eine produktive Nutzung von Fehlern würde zu besseren Lernergebnissen führen. Oder umgekehrt: Wer Fehler um jeden Preis vermeiden möchte, hindert sich selbst und seine Schüler*innen an erfolgreichem und freudigem Lernen. Es handelt sich dabei also um keinen Lernmythos.