Gut gemeint
Mit der Mittelschulreform wurde nicht nur der Name der Hauptschule geändert. Es wurden gleichzeitig so genannte “Schulverbünde” installiert, die das Überleben kleiner Hauptschulen sichern sollten. Das ist nur teilweise gelungen, wie in diesem Blog beschrieben wurde und in dieser Bayernkarte deutlich wird. Was sind die Gründe dafür?
Es gibt immer weniger Schüler
Die Schülerzahlen in Bayern nehmen nach wie vor ab. Auch wenn es aktuell bei den Geburten eine Trendwende geben könnte, würde es zehn Jahre dauern, bis diese in den Mittelschulen ankommt. Hier eine Prognose des bayerischen Kultusministeriums:
Schriften des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst Reihe A Bildungsstatistik Heft 61 München, Juli 2016, Seite 13.
Die amtliche Prognose zeigt, dass sich die Schülerzahlen der Mittelschulen bestenfalls auf dem aktuell niedrigen Niveau stabilisieren werden.
Neben dem Bevölkerungstrend gibt es noch einen anderen Trend, der den Mittelschulen die Schüler wegnimmt:
Die Mittelschule ist nicht die Schule der Wahl
Eltern versuchen ihre Kinder möglichst aufs Gymnasium zu kriegen; und wenn das nicht gelingt, wenigstens auf die Realschule. Und sollte auch das nicht gelingen, gibt es ja noch die Wirtschaftsschulen und Privatschulen. Alles, nur nicht die Mittelschule!
Warum eigentlich?
Ich habe darüber hier schon mal geschrieben: Die Mittelschule befindet sich leider am unteren Ende der Zufriedensheitsskala der Eltern. Das hängt meines Erachtens vorwiegend an den möglichen Abschlüssen. Der Mittelschulabschluss ist offensichtlich in den Augen der Eltern nicht so werthaltig wie die Mittlere Reife oder die unterschiedlichen Formen der Hochschulreife. Die Mittelschule wird als Sackgasse wahrgenommen.
Das beschreibt mit sehr viel Detailkenntnis, übrigens auch über Bayern, Ernst Rösner:
Was bislang zur Sanierung der Hauptschule erdacht oder bereits erprobt wurde, hat sich als vertrauensfördernde Maßnahme bei Eltern bislang als wirkungslos erwiesen… Nichts hilft. (Rösner 2007, S. 169)
Die Hauptschule geht also vor allem deshalb zugrunde, weil sie Eltern nicht mit hinreichender Überzeugungskraft den Eindruck zu vermitteln vermag, Hauptschulabsolventen hätten genügend Chancen auf dem so genannten Arbeitsmarkt. (Rösner 2007, S. 30)
Folge: Die Mittelschulen nehmen sich gegenseitig die letzten Schüler weg
Es ist mancherorts so etwas wie ein Hauen und Stechen im Gange: Die Mittelschulen, die gewisse Zuckerl anbieten können, werden als letzte Zuflucht gesucht. Zu diesen Zuckerln gehören
- ein M-Zweig mit einer 10. Jahrgangsstufe und der Chance auf den Mittleren Schulabschluss (MSA);
- ein Ganztagszweig;
- ein besonderes, vielleicht sportliches, Profil mit zahlreichen Arbeitsgemeinschaften.
Das können alles zusammen nur größere Standorte anbieten. -> Deshalb saugen sie aus den kleineren Standorten weitere Schüler ab. -> Dadurch werden diese weniger attraktiv. -> Deshalb suchen die Eltern vermehrt die größeren Standorte usw.. Hier ein Diagramm zur exemplarischen Illustration der Frustration:
Man erkennt deutlich, dass mit Einführung der Mittelschule 2010/11 der größte Standort Vilsbiburg mehr Schüler anzog, während die kleinen weiter Schüler abgeben mussten. Diese Dynamik verlor dann nach und nach an Momentum, und der Trend nachlassender Schülerzahlen ging dann auch am großen Standort nicht vorüber. (Ast und Buch haben darauf reagiert und prüfen derzeit die Möglichkeit eine Schule des längeren gemeinsamen Lernens einzurichten.)
Diese oben dargestellte Dynamik spielt sich in vielen bayerischen Schulverbünden ab. Die Website inFranken.de berichtet heute aus einem unterfränkischen mit Dettelbach und Volkach, der wohl künftig nicht mehr in der Lage sein werde, die gesetzlichen Anforderungen für die M-Klassen zu erfüllen – sinkende Schülerzahlen sind der Grund dafür. Also soll der Schulverbund mit Wiesentheid erweitert werden.
Dann soll es eine weitere Änderung geben, die aus der geplanten Auflösung der Mittelschule Schwanfeld resultiert. Dadurch werden Ober- und Untereisenheim dem Mittelschulverbund Dettelbach-Volkach zugeordnet. Das ist aber noch nicht alles in diesem Gefüge.
Auch in der Mittelschule Marktbreit sinken die Schülerzahlen, eine Eingangsklasse, die fünfte Klasse, konnte in diesem Schuljahr nicht mehr belegt werden. Drei Schüler waren in Marktbreit zu wenig gemeldet. Der Schulverbundpartner Ochsenfurt sollte nach Vertrag dazu Schüler austauschen, was nicht erfolgt sei.
Quelle: http://www.infranken.de/regional/kitzingen/Schulverbuende-in-der-Diskussion
Diese Beispiele verdeutlichen, wie verbissen geplant und gefeilscht wird, selbst um einzelne Schüler!
Den gordischen Knoten durchschlagen könnte vielleicht die Bürgermeisterin von Dettelbach, die schon im Mai 2014 über den Tellerrand hinausgedacht hat:
“Eine Diskussion über die Idee der Gemeinschaftsschule könnte ich mir für Dettelbach gut vorstellen.” Bürgermeisterin Konrad lt. Mainpost.de 21.5.14
Medizin: Mehr vom Alten oder etwas Neues?
Das Grundproblem der Mittelschulreform war, dass Dr. Spaenle und die CSU versucht haben, mehr von derselben Medizin einzusetzen, um dem Problem Herr zu werden. Das “differenzierte” Schulsystem wurde auf die Spitze getrieben, um die Standorte zu erhalten. Mittlerweile gibt es nicht nur Mittelschulen, bei denen ein ganzer Jahrgang ausgefallen ist, sondern es gibt auch ganze Schulen, die nur noch aus ein oder zwei Klassen bestehen!
Nach den mir vorliegenden Zahlen aus dem Schuljahr 2015/16 beispielsweise
Heroldsbach | 37 Schüler |
Hebertsfelden | 33 Schüler |
Breitenbrunn, M | 33 Schüler |
Steinwiesen, M | 32 Schüler |
Markt Rettenbach, M | 31 Schüler |
Kirchroth | 31 Schüler |
Marktleuthen, St | 31 Schüler |
Salzweg | 30 Schüler |
Inzell | 30 Schüler |
Essing, M | 26 Schüler |
Litzendorf | 26 Schüler |
Moosthenning | 21 Schüler |
Reichling | 20 Schüler |
Großmehring | 19 Schüler |
Tiefenbach | 16 Schüler |
Rennertshofen, M | 15 Schüler |
Adelsdorf | 15 Schüler |
Thurmansbang | 15 Schüler |
Neuhof a.d.Zenn, M | 15 Schüler |
Bergen | 14 Schüler |
Oberaudorf | 14 Schüler |
Creußen, St | 13 Schüler |
Hendungen | 9 Schüler |
Im Zweifel ist so eine Zwergschule auch “mehrzügig”, da sie ja an der Mehrzügigkeit des Schulverbundes partizipiert – wenn das keine konzeptionellen Kopfstände sind!
Was wäre denn das Neue?
Mit einer Gemeinschaftsschule würden sich die Schüler besser in der Fläche verteilen, weil die Konzentration auf die zahlenmäßig riesigen Realschulen und Gymnasien wegfiele. Im obigen Beispiel aus dem Landkreis Landshut (Schulverbund Bina-Vils) liegen deren Schülerzahlen zwischen 850 und 1000. Es wäre kein existenzielles Problem, wenn die Schüler mehr in der Fläche und in ihren Dörfern verblieben.
Nehmen wir als Fazit ein Zitat von Ernst Rösner:
Vertreter des dreigliedrigen Schulsystems erkennen mit Betroffenheit, dass das über Jahrzehnte stabile System eines angeblich nach Begabungen sortierenden dreigliedrigen Schulsystems instabil geworden ist und zu kollabieren droht…
Die Kräfte, die den Niedergang der Hauptschule bewirken, sind, so hat es den Anschein, allemal stärker als alle bisherigen Ansätze, diese Schulform durch Attraktivitätssteigerung wieder konkurrenzfähig zu machen. (Rösner 2007, S. 142)
Rösner, E. (2007). Hauptschule am Ende. Ein Nachruf. Münster: Waxmann.
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