Ein Viertel der Kandidat/innen beginnt das Lehramtsstudium ohne die notwendige pädagogische oder fachspezifische Motivation. Eine Studie von Mitarbeitern der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) kommt zu diesem erschreckenden Ergebnis.
Weiß, S., Lerche, T. & Kiel, E. (2011). Der Lehrberuf: Attraktiv für die Falschen? Lehrerbildung auf dem Prüfstand 4 (2), 349–367.
Zusammenfassung
Die vorliegende Studie mit einer Stichprobe von 1 446 Lehramtsstudierenden, Teil des Projekts Wirksamkeit von Lehrerbildung, befasst sich mit der Fragestellung, ob sich Unsicherheit bezüglich der Entscheidung für den Lehrberuf in der Berufswahlmotivation widerspiegelt. Mittels Clusteranalysen ergeben sich verschiedene Motivationsprofile angehender Lehrkräfte. Etwa ein Viertel aller Lehramtsstudierenden weist ein Motivationsprofil auf, das durch eine geringere sowohl pädagogische als auch fachbezogene Motivation charakterisiert ist. Zudem wird das Studium eher als eine Notlösung benannt. Die eigentlich zu erwartende berufliche Entscheidung als das Ergebnis von Bewertungsprozessen auf Basis einer möglichst optimalen Passung zwischen personalen Eigenschaften und Fähigkeiten sowie den antizipierten Anforderungen von Beruf und Ausbildung ist nur bedingt gegeben. Dies wird in Hinblick zum einen auf eine Kompatibilität mit dem Lehrberuf sowie aus Sicht der Belastungsforschung, zum anderen auf mögliche Folgen für die Lehrerbildung diskutiert. (Weiß et al. 2011, S. 349)
Einzelheiten
Etwa ein Viertel aller Lehramtsstudierenden (vgl. Cluster 2) weist ein Motivationsprofil auf, das sich folgendermaßen charakterisieren lässt:
– Wie erwartet geben diese angehenden Lehrkräfte eine geringere pädagogische Motivation, also beispielsweise den Wunsch Kinder und Jugendliche zu fördern und sie zu unterrichten, an.
– Ebenso ist das fachbezogene Interesse geringer.
– Erwartungsgemäß ist das Studium für diese Studierenden eher eine Notlösung. Extrinsischen Motiven wird keine höhere Bedeutung zugeschrieben. Das bedeutet zusammengefasst: Jede vierte angehende Lehrkraft wählt den Beruf eher als Notlösung, sowohl der Wunsch nach einer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen als auch das fachbezogene Interesse sind geringer als dies für andere Studierende zutrifft. (Weiß et al. 2011, S. 360–361)
Empfehlungen
[Zwischenüberschriften von mir]
Entscheidung destabilisieren
Daraus müssen Konsequenzen resultieren. Im Sinne der Professionalisierung des Lehrberufs (z. B. Gehrmann, 2003) muss denjenigen, die sich ihrer Entscheidung eben nicht sicher sind oder denen Alternativen fehlen, die Möglichkeit gegeben werden, Rückmeldung darüber zu bekommen, inwieweit ihr Eigenschafts- und Fähigkeitsprofil auch wirklich mit dem Lehrberuf kompatibel ist oder eben nicht. Hochschule und Studium dürfen nicht ausschließlich zur Stabilisierung der beruflichen Entscheidung beitragen, sie müssen wenn erforderlich auch destabilisieren.
Betreute Praktika vor und während des Studiums
Ein Schritt, dies zu ermöglichen, könnten intensiv betreute Praktika sein. In der Studie von Jäger und Behrens (1994) zeigte sich eine positive Beeinflussung der Studienwahlmotivation bei den meisten Studierenden durch mehr Praktika vor und während des Studiums. Hier kann beispielsweise auf das Intensivpraktikum an der Ludwig-Maximilians-Universität München oder das Exercitium Paedagogicum an der Universität Passau hingewiesen werden. Diese dienen einer engeren Praxisbegegnung mit dem späteren Berufsfeld. Studierende erhalten so die Möglichkeit, sich rechtzeitig mit der Realität des Berufs vertraut zu machen und zugleich ihre Berufsentscheidung zu überdenken. Idealistische wie auch in erster Linie auf den Rahmenbedingungen des Lehrberuf basierende Motivstrukturen können systematisch hinterfragt werden und in der Konsequenz Anlass zu positiver und negativer Selbstselektion sein. Die positiven Effekte von Praktika sind durch Studien wie die von Jäger und Behrens (1994), Jäger und Milbach (1994) sowie Bodensohn, Balzer und Frey (2007) dokumentiert.
Realistic Job Preview
Möglicherweise würde das Angebot eines Realistic Job Previews, der realistische Einblicke in die Anforderungen, Aufgaben und Schwierigkeiten von Lehrtätigkeit und Schulalltag vermittelt, gerade den angehenden Lehrkräften, die ihr Studium aus Gründen wie fehlenden Alternativen oder als Notlösung wählen, wertvolle Unterstützung leisten.
Selbst- und Fremdeinschätzung
In jedem Fall sollten Eignung und Neigung bezüglich des Lehrberufs nicht erst zu Beginn des Referendariats festgestellt werden (vgl. Bodensohn, Schneider & Jäger, 2008). Hierbei sind Ansätze zu unterstützen, die größere Transparenz über die Realität des Studiums und des Alltags von Lehrkräften vermitteln (vgl. Jäger & Behrens, 1994). Dies könnte u. a. im Rahmen von Assessmentverfahren geschehen. Diese werden für das Lehramt konträr diskutiert. Erste Konstruktionen liegen vor, die einzige, allumfassende Lösung in Hinblick auf die Eignungsproblematik sind sie sicher nicht. Doch könnten zum Beispiel Instrumente zur Selbstselektion einen Beitrag leisten. Parallel dazu müsste die Möglichkeit bestehen, eine ebenso realistische Rückmeldung über die Selbsteinschätzung von Kompetenzen und Fähigkeiten zu erhalten und dies mit den Anforderungen abzugleichen. Instrumente zur Selbstselektion müssten an den Universitäten verankert und durch laufende Forschungstätigkeit stetig weiterentwickelt und aktuellen schulischen Begebenheiten angepasst werden. Eine gezielte, persönliche Beratung interessierter Studierender vor bzw. unmittelbar nach Studienbeginn wäre sicher wünschenswert, ist jedoch vor dem Hintergrund hoher Studierendenzahlen definitiv nicht möglich. (Weiß et al. 2011, S. 362–363)
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