Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass der Bayerische Elternverband (BEV) eine Umfrage zum Übertritt in Bayern durchführen wollte. Seit letzter Woche sind die Ergebnisse bekannt. Das Wichtigste vorweg: 85% der befragten Eltern sprechen sich gegen den frühen Übertrittszeitpunkt in der 4. Klasse aus.
Wer wurde befragt?
Nach Angabe des BEV haben sich 1104 Eltern beteiligt.
Die Ergebnisse im Einzelnen
[Ich habe die Diagramme mit den angegebenen Werten neu erstellt, weil die Auflösung des Dokuments auf der Website des BEV nicht so berauschend ist.]
Der richtige Übertrittszeitpunkt
Wann wäre ein besserer Zeitpunkt?
Mehr als die Hälfte der Befragten ist für einen Übertritt am Ende der 6. Jahrgangsstufe.
Die Wahl sollte erst nach folgender Jahrgangsstufe erfolgen:
[Hier ergibt die Summe der Antworten allerdings nicht 1104, sondern 940.]
Übertritt unabhängig von den Noten?
Mehr als die Hälfte der Befragten wünscht sich auch einen Übertritt unabhängig von den Noten.
Chancengerechtigkeit?
Ein deutliches Ergebnis: Zwei Drittel der Befragten (68 %) sehen im derzeitigen Übertrittsverfahren keine Chancengerechtigkeit.
Es gibt weitere Fragen und Antworten auf der bereits verlinkten Website.
Kommentar von Martin Löwe

Martin Löwe, der Landesvorsitzende des BEV, kommentiert diese Ergebnisse so:
Schon seit langem fordert neben anderen Verbänden auch der BEV eine längere gemeinsame Schulzeit. Neben dem Stress beim ‚Grundschulabitur’ kritisiert er, dass im Alter von 10 Jahren noch nicht feststehen könne, welche Begabungen und Interessen ein Kind habe, wie weit es auch bei ungünstigen familiären Voraussetzungen gefördert werden könne und in welche Bildungsrichtung es sich entwickeln werde.
Das deutliche Ergebnis der Umfrage steht im Widerspruch zur Darstellung des bayerischen Kultusministeriums, Eltern seien mit dem Übertrittzeitpunkt sehr zufrieden. „Das Ministerium erhebt lediglich die Zufriedenheit der Eltern mit dem Verfahren des Übertritts“, stellt der Landesvorsitzende des BEV Martin Löwe richtig. „Keine der den Eltern hier vorgelegten Fragen bezieht sich jedoch auf den Zeitpunkt des Übertritts. Die obige Behauptung ist somit unzutreffend.“
Mit dem Umfrageergebnis des BEV konfrontiert, wandte Minister Sibler am 20. September in Nürnberg ein, dass der flächendeckende Umbau des bayerischen Schulsystems hin zu einer längeren gemeinsamen Schulzeit viel Unruhe in die bayerische Bildungslandschaft bringen würde. Dazu Löwe: „Diese Unruhe gibt es jetzt auch schon, wenn zu frühe Übertrittsentscheidungen durch Durchfallen korrigiert werden.“ Sie belaste allerdings nicht das Ministerium, sondern in hohem Maße Kinder und Familien.
Nicht verstehen könne der BEV auch, dass die längere gemeinsame Schulzeit, wie sie auch einige Kommunen längst fordern, nicht einmal im Modellversuch erprobt werden dürfe. In den vergangenen Jahren hat das Ministerium auf derartige Anträge stets mit der Unterstellung reagiert, hier werde eine ‚Einheitsschule’ intendiert. „Wir wünschen uns, dass mit dem neuen Kultusminister diese Wort- und Sinnverdrehung beendet wird und dass man endlich zur Kenntnis nimmt, dass Befürworter einer längeren gemeinsamen Schulzeit in ganz besonderem Maß auf Differenzierung und individuelle Förderung setzen, wie dies der erweiterte Inklusionsbegriff bekanntermaßen beinhaltet.“
Löwe schließt: „Ich hoffe, wir werden auf die Veröffentlichung dieser Umfrageergebnisse seitens des Ministeriums nicht wieder mit den bisher üblichen Verweisen auf Flexible Eingangsstufe der Grundschule, individuelle Förderung, die Durchlässigkeit des bayerischen Schulsystems u. a. m. abgespeist, sondern können eine echte inhaltliche Auseinandersetzung erreichen!“
Das Kultusministerium begründet seine Behauptung, dass die Eltern mit dem derzeitigen Verfahren doch zufrieden wären, mit dem Verweis auf die regelmäßige Befragung von Schulleitern und Elternvertretern. Wer diese liest, stellt fest, dass bei dieser Befragung der Zeitpunkt des Übertritts tatsächlich gar nicht zur Frage steht. Darauf verweis Martin Löwe mit Recht. Hier kann man sich das mal ansehen.
7 comments On Argumente #18: 85 Prozent für längeres gemeinsames Lernen in Bayern
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