Fail #32: Der Realschulmensch und die Element-Studie

Auch der Bayerische Realschullehrerverband ist auf die Ergebnisse der Elternbefragung des Bayerischen Elternverbands aufmerksam geworden. Sie passen ihm nicht, deshalb lehnt er sie ab. Er versucht dabei wissenschaftlich zu klingen. 

Die zu prüfenden Aussagen

Hier erst mal das Wording, dann der Faktencheck:

München, 27.9.18. „Die Studie des Bayerischen Elternverbands (BEV), die sich mit dem Übertrittsverfahren nach der 4. Klasse beschäftigt, kann ich nicht als repräsentativ ansehen, sondern vielmehr als gezielte Befragung, die zum gewünschten Ergebnis führen soll – nämlich dem, dass Eltern in Bayern angeblich keinen Übertritt nach der vierten Klasse wünschen. Der Bayerische Realschullehrerverband (brlv) kann hier mit anderen Ergebnissen aufwarten: Zum einen belegen wissenschaftliche Untersuchungen wie die ELEMENT-Studie der Humboldt Universität in Berlin, dass eine längere Grundschulzeit nicht dem Lernfortschritt der Kinder dient. Zum anderen zeigt die vom brlv in Auftrag gegebene repräsentative Forsa-Umfrage 2017, dass die Menschen in Bayern zu 82 Prozent mit dem bewährten, bestehenden sechsjährigen Bildungsweg über die Realschule sehr zufrieden sind“, reagiert Jürgen Böhm, Landesvorsitzender des blrv, auf die Ergebnisse der BEV-Studie, die das bewährte Übertrittsverfahren nach der 4. Klasse abschaffen möchte.

Am schnellsten geklärt: die Forsa-Umfrage

Man kann sie hier nachlesen und erkennt, dass die Fragestellungen dieser Umfrage mit dem  Übertrittszeitpunkt überhaupt nichts zu tun hatten:

  • Fragestellung: Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt von Jugendlichen, die die Realschule erfolgreich abgeschlossen haben, sind Ihrer Meinung nach…
  • Fragestellung: Wie bewerten Sie folgende Aspekte im Bezug auf die Nutzung digitaler Medien im Unterricht? …
  • Aussagen: Ich finde es sehr wichtig, dass Schülern im Unterricht Medienkompetenz und der sinnvolle Umgang mit digitalen Medien vermittelt wird…
  • Fragestellung: Dass Schüler aktuelle politische und gesellschaftliche Fragen kompetent beurteilen können ist für…

Und die Zusammenfassung lautet:

Überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sieht wichtigen Bildungsauftrag bei den Realschulen: 89% der Menschen finden es sehr wichtig (48%) oder wichtig (41%), dass Schüler durch die Schule zur kompetenten Beurteilung aktueller politischer Fragen befähigt werden.

Das finde ich ok, ist aber doch kein Argument in der Frage nach dem richtigen Übertrittszeitpunkt. Aber es klingt solide und wissenschaftlich und wird auch nur aus diesem Grunde vom BRLV hier zitiert.

Auch schnell geklärt: die Element-Studie

Der Bayerische Realschullehrerverband (brlv) kann hier mit anderen Ergebnissen aufwarten: Zum einen belegen wissenschaftliche Untersuchungen wie die ELEMENT-Studie der Humboldt Universität in Berlin, dass eine längere Grundschulzeit nicht dem Lernfortschritt der Kinder dient.

Der Verbandsvertreter verwendet hier einen Plural (Untersuchungen), von dem nicht deutlich wird, ob es ihn auch wirklich gibt. Aber bleiben wir beim Singular. Hier die Diagramme, welche die Ergebnisse der Element-Studie so zeigen, dass es jeder, der es wirklich will, auch verstehen kann (Literaturnachweise siehe ganz unten):

Elementstudie

Man erkennt ziemlich klar, dass die Gymnasiasten in der 5. Jgst. mit einer im Lesen und in Mathematik höheren Ausgangslage starten. Das sollte nicht verwunderlich sein, denn in den Gymnasien wird ja bekanntermaßen „der Rahm abgeschöpft“; das heißt, dort dürfen nur die Kinder hin, die die höchsten Leistungen erzielt haben.

Die Vergleichsgruppe bilden die heterogen zusammengesetzten Grundschüler aller Leistungsvermögen, nur nicht der höchsten.

Man erkennt weiterhin auch sehr deutlich, dass die Gruppe der Gymnasiasten über die untersuchten zwei Schuljahre hin besser bleibt als die Grundschüler in der 5. und 6. Jahrgangsstufe.

Spannend wird es bei der schon etwas schwieriger zu entscheidenden Frage, ob sich die jeweiligen Entwicklungskurven voneinander entfernten. Denn so besagt ja die Theorie der homogenen Lernumwelten, dass sie leistungsförderlich seien.

Mathematik:

Die Leistungsschere spreizt sich tatsächlich auseinander – von 114 zu 96 geht sie auf 134 zu 115. Es geht also um einen relativen Zuwachs von einem Leistungspunkt! Rechtfertigt das die Behauptung des Realschulmenschen, dass eine längere Grundschulzeit nicht dem Lernfortschritt der Kinder dient? Deutlicher wird die Angelegenheit beim Leseverständnis.

Leseverständnis:

In der 4. Klasse stand es für die Gymnasiale Gruppe 114 zu 97 gegenüber der Grundschulgruppe, also ein Punkteabstand von 17 Punkten. Zwei Jahre später hieß das Ergebnis 123 zu 110, also nur noch 13 Punkte. Hier haben die heterogenen Grundschüler gegenüber den homogenen Gymnasialen 4 Punkte aufgeholt. Das ist auch nicht die Welt, aber doch – für die Vertreter des segregierenden Schulsystems – kontra-intuitiv. Und zwar so sehr, dass sie es selbst nicht wahrhaben wollen.

Lehmann stolpert über seine eigene Studie

Als erster prominenter Geist hat Professor Lehmann seine eigenen Ergebnisse fehlinterpretiert. Er wurde sofort von der wissenschaftlichen Community korrigiert.

Lehmann sieht sich im Nachhinein als „etwas naiv“

Noch vor der offiziellen Veröffentlichung der Ergebnisse verkündete der leitende Forscher Lehmann das zentrale Ergebnis seiner Studie unter anderem in der Wochenzeitung „Die Zeit“: „Bei gleicher Ausgangslage lernen Schüler an Gymnasien weitaus mehr als an Grundschulen“ (Die Zeit, 17. 04. 2008). Hiermit war der Kontrapunkt zu der Erwartung gesetzt, dass längeres gemeinsames Lernen einen Vorteil darstellt – eine Position, wie sie im linken Lager und in Berlin auch von der rot-roten Regierung vertreten wurde. Diese Ergebnisinterpretation Lehmanns war zwar, wie die einige Tage später veröffentlichte Studie offenbarte, von seinen eigenen Ergebnissen nicht gedeckt, wurde jedoch über einen langen Zeitraum als gültiges Ergebnis der ELEMENT-Studie in den Medien rezipiert.
Offenbar hatte Lehmann selbst nicht mit der großen medialen Resonanz auf seine Äußerungen gerechnet und gestand bald, dass er – wohl hinsichtlich des Zeitpunkts und der Wirkung des Interviews – „etwas naiv“ gewesen sei (Die Zeit, 24. 04. 2008). (Moll et al. 2014, S. 371)

Dagmar Killus, Klaus-Jürgen Tillmann, Baumert

In der Berliner ‚Element-Studie‘ wurde untersucht, wie groß die in den Jahrgangsstufen 5 und 6 die Lernzuwächse im Lesen und in Mathematik sind. Dabei zeigte es sich, dass es der Grundschule gelingt, in den Klassen 5 und 6 bei den Leistungsschwächeren Bildungsnachteile zu kompensieren. Die Verantwortlichen der Studie bescheinigen der sechsjährigen Grundschule einen beachtlichen Kompensationserfolg (Lehmann/Lenkeit 2008). Eine weitere Auswertung zeigt, dass auch die Leistungsstärkeren adäquat gefördert werden. Dabei wurden Kinder, die nach der 4. Klasse auf ein grundständiges Gymnasium gewechselt waren, mit denjenigen verglichen, die die sechsjährige Grundschule besuchten. Bei Kontrolle von Leistungs-, Motivations- und sozialen Herkunftsmerkmalen zeigt sich, dass es keinen Unterschied in der Lernentwicklung der leistungsstarken Schüler/innen aus Gymnasium bzw. Grundschule gibt (Baumert et al. 2009). In Interviews (so in der ZEIT vom 30.4.2009) sprach Baumert der sechsjährigen Grundschule ausdrücklich ein ‚Kompliment‘ aus. ‚Ihr gelingt es, die Leistungen schwacher Schüler anzuheben, ohne die starken zu vernachlässigen‘ (Spiewak 2009). (Killus und Tillmann 2012, S. 176)

Max-Plank-Institut für Bildungsforschung

Baumert & Kollegen vom Max-Plank-Institut für Bildungsforschung haben die Zahlen noch einmal analysiert und kommen in der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 12.Jhg/2009 zu folgenden Ergebnissen (Alle zitiert nach einem Artikel von Martin Spiewak in DIE ZEIT Nr.19 vom 30.4.09)

»Die Befunde sprechen gegen die Annahme, dass mit dem frühen Übergang auf ein grundständiges Gymnasium (…) eine generelle Förderung besonders leistungsfähiger Schüler erreicht wird.« Sie hätten, so sagt Baumert, »ihren Weg auch in der Grundschule gemacht«…

„Damit war der eine Teil von Lehmanns Argumentationsgebäude – sechs Jahre Grundschule bringen keine Vorteile – zusammengebrochen.“…

„Zieht man nämlich sämtliche Vorteile der Gymnasiasten in Betracht, dann schmilzt deren Lernvorsprung auf null. Dass die Frühwechsler im Lesen und Rechnen besser abschneiden, verdanken sie also ihrer intellektuellen und kulturellen Mitgift, mit der sie im Gymnasium beginnen. Die Schule selbst hat daran keinen Anteil. »In keinem Leistungsbereich sind generelle Förderwirkungen des grundständigen Gymnasiums nachweisbar«, schlussfolgert Baumerts Beitrag.“…

„»Die neue Analyse entzieht Lehmanns Interpretation den Boden«, sagt der Bielefelder Erziehungswissenschaftler Klaus-Jürgen Tillmann.“…

„In den Hauptfächern stellt die neue Untersuchung den grundständigen Gymnasien jedoch ein Armutszeugnis aus: Unter wesentlich besseren Bedingungen holen sie nicht mehr aus den Schülern heraus als die Grundschulen, die sich gleichzeitig um die Schwachen kümmern müssen.“

Bayerischer Sozialbericht

Die Verfasser des Bayerischen Sozialberichts können wohl kaum in die Ecke linker Einheitsschulfetischisten gestellt werden. Sie widersprechen der Eigendeutung Lehmanns in einem Ton, der darauf schließen lässt, dass sie lediglich den wissenschaftlichen Konsens wiedergeben:

„So zeigen sorgfältige Reanalysen von Daten der Berliner ELEMENT-Studie zur Leistungsentwicklung von Kindern…, dass die höheren Leistungen der Schüler/innen an Gymnasien im Wesentlichen  auf deren höheres Leistungsniveau schon beim Eintritt in das Gymnasium zurückzuführen sind. Dies spricht dafür, dass der positive Effekt des anspruchsvolleren Lehr-Lern-Millieus an grundständigen Gymnasien geringer ausfällt, als es die ursprünglichen Analysen dieser Daten nahe gelegt haben.

Diese Befunde sind im Einklang mit anderen Studien, nach denen sich eine heterogene Schülerschaft nicht unbedingt negativ auf die Kompetenzentwicklung leistungsstarker Schüler/innen auswirkt. Demgegenüber verschlechtern sich die Lernchancen bei der „Homogenisierung am unteren Ende“, wie sie durch die Konzentration von lern- und leistungsschwachen Schüler/innen bewirkt wird, erheblich.“

(AG 3: Teilhabechancen durch Bildung, Kommission Anforderungen aus dem zweiten Bayerischen Sozialbericht, S.III-54.)

Das alles ist an den Realschulleuten vorübergegangen – warum eigentlich?

Mir fallen etliche Gründe dafür ein, dass der Realschullehrerverband diesen inzwischen doch etwas betagten Unsinn wieder aufgewärmt hat. Die weniger sympathischen haben mit der Existenz in einer Informationsblase zu tun und mit einem Selbstbewusstsein, das gerade dadurch erstarken kann, dass es wesentliche Teile der Wirklichkeit ausblendet. Man könnte es auch soziologisch angehen und nach den Interessen mächtiger Eliten fragen, die sich um wissenschaftliche Erkenntnisse wenig scheren, bzw. sie so umdeuten, wie es für sie passt. Ja, ich denke, ich werde eine entsprechende Aussage aus der Hattiestudie unten noch anfügen.

Ich will aber zunächst einen anderen Punkt abarbeiten:

Die Verbandsdynamik

Als Verbandsvertreter muss man die Interessen des Verbandes vertreten, so wie man sie halt wahrnimmt. Der Bayerische Realschullehrerverband hat sich selbst in eine Argumentationsschleife eingesponnen, weil er meint den Elternwillen so hindrehen zu müssen, dass das dreigliedrige Schulwesen bestätigt wird, weil er sonst den Wert oder Bestand der Realschule gefährdet sieht. An diesem Ansatz ist alles aus der Zeit gefallen, denn

a) gibt es auch mindestens eine andere ernstzunehmende Studie, die die Ergebnisse des Bayerischen Elternverbands bestätigt und

b) ist der Widerspruch zwischen längerem gemeinsamem Lernen und Realschule ein vom Realschullehrerverband wohl künstlich gewollter.

Zu a): Die Jako-o-Studie zeigt an einem wesentlichen Punkt ein nahezu identisches Ergebnis wie die Studie des BEV: Der Anteil der Befürworter einer frühen Aufteilung am Ende der 4. Klasse bewegt sich in Bayern um die 11-12 Prozent. Ich stelle mal die beiden Diagramme neben-, bzw. untereinander. Zunächst die jüngere Befragung des BEV:

Ü-Zeitpunkt

Dann die Jako-o-Studie aus dem Jahr 2012:

Jako-o

Entschuldigen Sie bitte die Penetranz, aber bei den Verbandsmenschen muss man wohl manchmal mit dem Tafellineal auf die Köpfe klopfen: Die Jako-o-Studie findet 11 Prozent Zustimmung für den frühen Übertrittszeitpunkt in Bayern, die BEV-Befragung 12,23 Prozent. Kann man solche Übereinstimmungen bei diesen eindeutig niedrigen Werten einfach vom Tisch wischen?

Zu b) Warum um alles in der Welt fühlen sich die Realschulverbandsmenschen vom längeren gemeinsamen Lernen bedroht? Hier ein paar Zitate von Realschulleiter/innen aus Baden-Württemberg, die zeigen, wie man es besser angehen kann:

Montag, 26. Mai 2014
Aufruf der Rektorinnen und Rektoren von Gemeinschaftsschulen/Realschulen

Als Schulleiterinnen und Schulleitern von Realschulen, die sich auf den Weg zur
Gemeinschaftsschule gemacht haben, ist es uns ein Anliegen darzustellen, was uns „bewegt“. Wir nehmen wahr, dass im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch zu wenig über unsere Arbeit bekannt ist. Mit diesem Beitrag wollen wir den lückenhaften Darstellungen in der aktuellen Diskussion begegnen, indem wir die Grundgedanken und Eckpfeiler unserer Schulen darstellen.
Wir sehen in der Gemeinschaftsschule eine hervorragende Möglichkeit, gerade auch die Realschulen in ihrer pädagogischen Entwicklung zu stärken und zukunftsfähig zu machen. Heterogenität sehen wir als Chance. Was die Realschulen in jahrzehntelanger Arbeit ausgezeichnet und zu ihrer hohen Akzeptanz beigetragen hat, wird in unseren Gemeinschaftsschulen fortgesetzt und intensiviert…

Wir gestalten unsere Schulen so, dass sich die anerkannten Vorzüge der Realschule mit den Möglichkeiten der Gemeinschaftsschule verbinden und dadurch verstärken… 

Wir haben als Realschulen schon immer Kinder unterschiedlichster
Leistungsfähigkeit unterrichtet. Nun aber haben wir die Möglichkeit, die einzelnen Niveaustufen genau zu beschreiben und damit jedem Kind zu seinem individuellen Erfolg zu verhelfen…

Wie in den Realschulen gilt auch in unseren Gemeinschaftsschulen das Leistungsprinzip. Verzicht auf Ziffernnoten heißt nicht Verzicht auf Leistung. Dafür setzen wir auf qualifizierte und zeitnahe Rückmeldung über den jeweiligen Lernstand…

Wenn es nicht so pathetisch klingen würde, könnte man sagen: Weltgeist gegen Kleingeist! Den ganzen Text kann man hier nachlesen.

Was sagt John C. Hattie zur Schulstrukturdebatte?

Es wird ja gern von Blasenexistenzen behauptet, Hattie hätte in seiner famosen Studie nur so viel zur Schulstrukturfrage gesagt, dass sie nicht wesentlich sei. Es käme – so der immer wieder bemühte Spruch – auf den Lehrer an. Also Ohren gespitzt und Augen auf:

Die Analyse von mehr als 300 Metastudien hat ergeben: Tracking, also die Bildung möglichst homogener Gruppen, Kurse oder Klassen hat minimale Effekte für den Lernzuwachs ( d = 0,00 bis 0,02) – „no one profits“ (2009, S.90).

Tracking habe aber „profound negative equity effects“ (ebd.). Eine Studie formulierte als wesentliche Erkenntnis, dass „many low-track classes are deadening, non-educational environments“ sind (ebd.). „Tracking limits students‘ schooling opportunities, achievements, and life chances. Students not in the highest track have fewer intellectual challenges, less engaging and supportive classrooms, and fewer well-trained teachers“ (ebd.). Weil die Lehrkräfte von den Schülern in den unteren Leistungsgruppen fast nichts erwarten, deshalb lernen sie auch sehr wenig – siehe dazu die wichtige Rolle positiver Lehrererwartungen (0,43)!

Die Schulen, die auf homogene Gruppen Wert legen, tragen dazu bei, dass schärfer entlang der gesellschaftlichen Grenzen von Rasse, Klasse und Ethnizität getrennt wird. Schulen in den Vorstädten, in reichen Kommunen und leistungsfähige Schulen bleiben bei der Homogenisierung  – „If tracking is bad policy, society’s elites are irrationally reserving it for their own children… indeed, they are embracing it“ (2009, 91). Die gesellschaftlichen Eliten reservieren die homogenen Klassen für ihre eigenen Kinder (ebd.).

Dass der frühe Übertritt eine soziale Selektion bewirkt ist wissenschaftlicher Standard. Für die Ungläubigen hier noch ein paar Zitate aus der Fachwelt:

PISA 2003

So lasse sich bei PISA 2003 „ein deutlicher Zusammenhang aufzeigen zwischen dem Lebensalter, in dem Kinder auf verschiedene Schulformen aufgeteilt werden, und dem Maß der sozialen Selektivität in einem Schulsystem“… Bei der sozialen Selektivität, diesem deutschen Spitzenwert in der PISA-Studie, sprechen für Tillmann die Befunde „klar für einen Systemeffekt“: „Je früher die Kinder auf unterschiedliche Bildungsgänge (Schulformen) verteilt werden, desto schärfer greift die soziale Auslese.“ (S.41) (Merkelbach 2006, S. 6)

Soziale Folgen der frühen Trennung

Den Hauptschülern in Deutschland werden damit verbundene Lerngelegenheiten oft vorenthalten. Das mehrgliedrige Schulsystem verteilt schon sehr früh eine ganze Schülergeneration auf unterschiedliche Schultypen. Damit geht eine soziale Segregation einher. Die Hauptschüler treffen im Schulalltag kaum auf Mitschüler aus anderen sozialen Schichten und mit höheren Bildungsambitionen und -erwartungen. Deswegen fehlen ihnen positive Rollenmodelle. Der Bildungsforscher Jürgen Baumert hat diesen Sachverhalt als sozialdifferenzielle Lernmilieus bezeichnet. (Solga 2008, S. 3)

Nach wie vor ist die Aufteilung sozial ungerecht

Leider zeigt sich noch immer, dass soziale Gerechtigkeit beim Bildungsübergang nicht der Praxis entspricht: Kinder unterer Sozialschichten werden systematisch am Übergang in die Sekundarstufe I benachteiligt. Das wird etwa daran deutlich, dass Jugendliche aus der Oberschicht ungefähr dreimal so hohe Chancen haben, ein Gymnasium anstelle einer Realschule zu besuchen wie Jugendliche aus Arbeiterfamilien – und zwar auch dann, wenn man nur Schülerinnen und Schüler mit gleicher Begabung und gleichen Fachleistungen vergleicht. (Baumert und Maaz 2008)

Selektion nicht durch Leistungsfähigkeit begründet

Wenn diese Selektivität ausschließlich über die Leistungsfähigkeit begründet wäre, d. h. wenn alle Menschen mit ausreichenden kognitiven Ausgangsvoraussetzungen an den Maßnahmen höherer Bildung beteiligt würden, könnte man weder von einer Ungerechtigkeit gegenüber einzelnen Gruppen noch von einer ausgebliebenen Nutzung von Bildungsreserven sprechen. Die Selektion findet aber nicht über Leistungsfähigkeit statt. Die Bildungsbeteiligung im oberen Segment ist abhängig von anderen als nur kognitiven Ausgangsvoraussetzungen. Als besondere Risiken für die Nichtbeteiligung an höheren Bildungsmaßnahmen und -abschlüssen müssen die Zugehörigkeit zu einer bildungsfernen Schicht und/oder ein Migrationshintergrund gelten. (Blossfeld 2007, S. 12)

Tracking vergrößert die Ungleichheiten

In the United States, high school tracking results in similar increases in inequality. In a national survey that followed more than 20,000 students from grades 10–12, academic track students gained significantly more on tests of math, science, reading, vocabulary, writing, and civics, compared to similar students in general and vocational tracks (Gamoran 1987).2 In fact, achievement gaps between students in different tracks widened more than the overall disparity between students who dropped out of school after 10th grade and those who stayed in school. This means that which program a student pursued in high school mattered more for achievement than whether or not he or she was in school! (Gamoran 1992, S. 12–13)

Gresch, Baumert und Maaz

Einen erheblichen Einfluss auf die Schulformwahl hat die Sozialschicht der Eltern. Sie wirkt sich in zweierlei Weise aus. Zunächst beeinflusst die soziale Herkunft die schulischen Leistungen der Kinder und darüber vermittelt auch die ihnen erteilte Übergangsempfehlung. Schüler und Schülerinnen aus privilegierten Verhältnissen erhalten aufgrund ihrer besseren schulischen Leistungen häufiger eine Übergangsempfehlung für das Gymnasium. (Gresch et al. 2010, S. 201)

Insgesamt zeichnet sich allerdings eine größere soziale Selektion in den Bundesländern ab, in denen unter anderem die Empfehlung bindend ist. (Gresch et al. 2010, S. 210)

Doch auch wenn die Befunde andeuten, dass soziale Disparitäten in Ländern mit freigegebenem Elternwillen verstärkt werden, darf nicht vernachlässigt werden, dass die sozialen Disparitäten in der Bildungsbeteiligung insgesamt in Bundesländern mit bindenden Empfehlungen deutlich stärker ausgeprägt sind als in Bundesländern, in denen Eltern frei entscheiden können. (Gresch et al. 2010, S. 225)

So legt sich schließlich der Verdacht nahe, dass der Vertreter des Realschullehrerverbands für seine Klientel lediglich Privilegien und Ansehen sichern möchte. Mit evidenzbasierter Bildungspolitik hat das nichts zu tun, eher mit – Achtung, böser Kalauer – evidenzblasierter Vereinsmeierei.

Literaturverzeichnis

Baumert, J. & Maaz, K. (2008). Früh fördern statt spät reparieren, Max-Planck-Gesellschaft. MaxPlanckForschung: 4. http://​www.mpg.de​/​195751/​Lernfoerderung​?​print=​yes. Zugegriffen: 28. November 2014.

Blossfeld, H.-P. (2007). Bildungsgerechtigkeit (Aktionsrat Bildung: Jahresgutachten, Bd. 2007, 1. Aufl). Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss.

Gamoran, A. (1992). Synthesis of Research / Is Ability Grouping Equitable? Educational Leadership 50 (2), 11–17.

Gresch, C., Baumert, J. & Maaz, K. (2010). Empfehlungsstatus, Übergangsempfehlung und der Wechsel in die Sekundarstufe I. Bildungsentscheidungen und soziale Ungleichheit. In K. Maaz & Y. Anders (Hrsg.), Der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule. Leistungsgerechtigkeit und regionale, soziale und ethnisch-kulturelle Disparitäten (Bildung Ideen zünden!, Bd. 34). Bonn: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Bildungsforschung. http://www.bmbf.de/pub/bildungsforschung_band_vierunddreissig.pdf; http://www.ssg-bildung.ub.uni-erlangen.de/Uebergang_von_der_Grundschule.pdf.

Hattie, J. (2009). Visible learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London: Routledge.

Kahl, R. (2009, 04. September). Unglücksfall und Chance. Die viel diskutierten Ergebnisse der Grundschulstudie „Element“ schienen gegen die sechsjährige Grundschule zu sprechen. Tatsächlich legt die Studie andere Schlüsse nahe. Zeit online. http://​www.zeit.de​/​online/​2008/​17/​element-​studie.

Killus, D. & Tillmann, K.-J. (2012). Eltern ziehen Bilanz. Ein Trendbericht zu Schule und Bildungspolitik in Deutschland ; die 2. JAKO-O Bildungsstudie. Münster: Waxmann.

Lehmann, R. H. & Nikolova, R. (2005a). Erhebung zum Lese- und Mathematikverständnis:  Entwicklungen in den Jahrgangstufen 4 bis 6 in Berlin. Bericht über die Untersuchung 2003 an den Berliner Grundschulen und grundständigen Gymnasien. Berlin (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport).

Lehmann, R. H. & Nikolova, R. (2005b). Lese- und Mathematikverständnis von Grundschülerinnen und Grundschülern am Ende der Klassenstufe 5. Befunde aus dem zweiten Erhebungszeitpunkt der ELEMENT-Untersuchung Schuljahr 2003/2004. Berlin (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport).

Merkelbach, V. (2006). Neue erziehungswissenschaftliche Beiträge zur Reform unseres Schulsystems.

Moll, F. d., Riefling, M. & Zenkel, S. (2014). „Bin ich wohl etwas naiv gewesen.“. Zur Rezeption empirischer Bildungsforschung in der Öffentlichkeit – das Beispiel ELEMENT. Zeitschrift für Pädagogik 60 (3), 368–389.

Solga, H. (2008). Wie das deutsche Schulsystem Bildungsungleichheiten verursacht, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. WZBrief Bildung. http://www.wzb.eu/wzbriefbildung.

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