21st Century Skills – das klingt bombastisch, soll es vermutlich auch: Es geht um die skills (Was auch immer das sein mag), die man (Wer auch immer das sein soll) für das 21. Jahrhundert braucht (Wozu auch immer). Es besteht die Gefahr, dass hier buzzwords vorgetragen werden, mit denen irgendwer irgendwas erreichen will. Beim Blick hinter die Kulissen dieses Worttheaters helfen Daumiller und Wisniewski, die auch schon mal den Lerntypen-Mythos dekonstruiert haben (Link).

Daumiller, M. & Wisniewksi, B. (2023). Das 4K-Rätsel – Wie Schule Kompetenzen fördern soll, die keine sind. doi:10.31234/osf.io/f2jm3
Zusammenfassung
Der Aufsatz ist klar, verständlich und gut zu lesen, ich kann ihn nur empfehlen. Die folgenden Ausschnitte und Zitate sollen in diesem Sinn Appetithappen sein!
Um welche skills geht es?
Da sind wir schon beim ersten Problem, denn es gibt zahlreiche Konzepte zu den 21st Century Skills, die nicht alle dieselben Fähigkeiten darunter verstehen. Als harten Kern könnte man diese vier identifizieren, auch “4K” genannt: Kommunikation, Kollaboration, Kritisches Denken und Kreativität.
Daumiller/Wisniewski fragen: Warum sollen gerade diese vier Merkmale für die Schülerinnen und Schüler der kommenden Generationen als Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert besonders relevant sein? Und: Was genau soll im Hinblick darauf eigentlich gefördert werden?
Probleme und Schwierigkeiten
Sie formulieren gleich mal folgende Probleme:
Problem: Skills, die keine skills sind
Obwohl die Verfasser um größtmögliche Klarheit und Präzision bemüht sind und mit Diagramm und Definitionen arbeiten, bleiben diese skills schwer zu fassen – was aber mit den Unschärfen der Begriffe zusammenhängt. Hier sieht man eine Grafik von Daumiller und Wisniewski, in der die Bedeutungsüberlappungen gut sichtbar werden.
Daneben versuchen sie es mit offiziellen Definitionen:
Ein Skill wird hierin [von der APA] als Fähigkeit definiert, die durch Lernprozesse erworben wurde. Fähigkeiten sind die Voraussetzung dafür, eine bestimmte physische oder mentale Handlung vollziehen zu können und können angeboren oder erworben sein. Eine Kompetenz ist eine kontextspezifische Leistungsdisposition, die als Repertoire von skills auf eine bestimmte Aufgabe oder Klasse von Aufgaben angewendet werden kann.
Das Ergebnis ihrer Abgrenzungsbemühungen:
Auch bei diesen Definitionen handelt es sich eher um Näherungen, die nicht darüber hinwegtäuschen sollen, dass die drei Begriffe uneinheitlich und in vielen Fällen synonym zueinander verwendet werden.
Und nach weiteren Abgrenzungsversuchen:
Die 4K sind offensichtlich unklar definierte und nur rudimentär operationalisierte Konstrukte, die eigentlich nicht mehr darstellen als vage Oberbegriffe für Merkmale, die irgendwie für zukünftige Berufsfelder relevant sein sollen. Besonders die Vermischung mit Persönlichkeitseigenschaften ist problematisch, weil diese als weitgehend stabile Merkmale einer Förderung ja eben kaum zugänglich sind.

Problem: Wie fördert man skills, die keine sind?
Nachdem also klar geworden ist, dass die 21st Century Skills nicht klar von anderen Fähigkeiten oder Kompetenzen oder bloßen Eigenschaften abgegrenzt werden können, stellen die Verfasser die Frage nach der Vermittlung dieser skills.
Daumiller und Wisniewski vermissen eine didaktische Theorie zur Einbettung der skills ebenso wie eine empirische Forschung, die zeigen könnte, wie die 4K erfolgreich unterrichtet werden könnten. Saubere unabhängige Forschungen mit Kontrollgruppen und Veröffentlichungen mit peer review seien Mangelware.
Wie soll eigentlich die Aneignung der skills erfolgen?
Die zentrale Fehlvorstellung, die in diesem Zusammenhang häufig auftaucht, ist aus unserer Sicht, dass durch bloße (wiederholte) Erfahrung eine skill-Aneignung erfolgt. Mit anderen Worten: Wenn Schülerinnen und Schüler zusammenarbeiten, lernten sie dabei skills der Kollaboration. Wenn Schülerinnen und Schüler eine Aufgabe ohne festen Lösungsweg bekommen, lernten sie dabei Kreativität. Die Aneignung oder Erweiterung von skills erfordert jedoch mehr als bloße Erfahrung.
Problem: Welche Expertise bringen die Lehrenden mit?
Daumiller und Wisniewski werden hier ganz deutlich und sprechen aus ihrer Erfahrung aus der Schulberatung und der universitären Lehrerausbildung heraus:
Wie sollen Lehrpersonen beispielsweise Kollaboration fördern, wenn sie selbst gerade eine der Berufsgruppen sind, die am wenigsten kollaborieren? Auch in relativ aktuellen Untersuchungen lehnen fast zwei Drittel befragter Lehrpersonen Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen ab (Eder et al., 2011).
Auch in Bezug auf das Merkmal „kritisches Denken“ ist eine effektive Förderung davon abhängig, zu welchem Grad Lehrende selbst über die für kritisches Denken nötigen Fähigkeiten verfügen. Ein wesentliches Grundproblem liegt darin begründet, dass die meisten Menschen denken, sie würden bereits kritisch denken. Es sind immer die anderen, die dies noch lernen müssen. Dabei weisen genau die Personen eine ausgeprägte Selbstüberschätzung auf, die in einer Domäne über niedrige Fähigkeiten verfügen (Kruger & Dunning, 1999).
Autsch!
Problem: Wie kann ein Lernfortschritt erkannt werden?
So lange es für den Erwerb der 4K keine definierten Lernziele gibt, lässt sich auch kein Assessment durchführen. Es ist nicht möglich, Schülerinnen und Schülern Rückmeldungen zu ihren Fortschritten zu geben, wenn unklar ist, worauf sich Fortschritte überhaupt beziehen. Insofern bleibt die gewünschte Förderung der 4K ein pures Hoffen, dass sich bei den Schülerinnen und Schülern irgendwelche erwünschten Lernprozesse einstellen, die dann später irgendwie ein kompetenteres Verhalten ermöglichen. Mehr aber auch nicht.
Fazit
Nach all diesen Ausführungen kann das Fazit zu den 4K bzw. den 21st Century Skills nur negativ ausfallen. Die Verfasser raten den Lehrerinnen und Lehrern, die sich auf dieses Konzept einlassen wollen, sich nicht durch klangvolle Begriffe verführen zu lassen, sondern sich ein paar einfache Fragen zu stellen:
Die oben genannten Voraussetzungen für die Aussage, Schule soll die 4K fördern sind weitgehend ungeklärt. Weder gibt es für das „Warum“, noch für das „Was“, noch für das „Wie“ stichhaltige Begründungen. Die Förderung der 4K durch die Institution Schule ist in vielfacher Hinsicht eine black box. Man macht irgendwas, von dem man annimmt, dass es das, was bestimmte Personen als für das 21. Jahrhundert relevant auffassen, fördern soll. Man weiß dabei weder genau, was man fördern möchte, noch welche Merkmale in der Zukunft tatsächlich relevant sein werden, noch inwiefern die jeweilige Intervention für diese Förderung effektiv ist.
Lehrpersonen sollten sich folgende drei Fragen stellen:
1. Welchen skill oder welche Kompetenz möchten Sie genau fördern?
2. Auf Basis welcher theoretischen didaktischen Erwägungen möchten Sie dies tun?
3. Wie überprüfen Sie, ob die Lernenden sich bezüglich dieses skills oder bezüglich dieser Kompetenz tatsächlich verbessert haben?
Gibt es auf mindestens eine dieser Fragen keine schlüssige Antwort, dann ist zumindest Vorsicht geboten. Kritisches Denken sollte dann oberste Devise sein!
Was sagt eigentlich Hattie zu den 21 Century Skills?

John Hattie kennt das schon länger bestehende Problem, dass man versucht, angeblich übergreifende Kompetenzen unabhängig von Inhalten zu vermitteln. Dieses Konzept lehnt er ab und steht deshalb auch seiner Wiederkehr als 21 Century Skills sehr skeptisch gegenüber. Dazu lesen wir in seinem neuen Buch The Sequel – erst in deutscher Übersetzung, dann im Original:
In den jüngsten Debatten wurden diese Begriffe unter dem Schlagwort der twenty-first-century skills wieder aufgegriffen. Es gibt viele Varianten davon, aber sie beinhalten in der Regel Kreativität, kritisches Denken, Problemlösung, Kommunikation und Zusammenarbeit. Meine Behauptung hier ist, dass diese Denkfähigkeiten im Rahmen der verschiedenen Lehrplaninhalte entwickelt werden müssen, da sie (a) je nach Inhalt eine unterschiedliche Bedeutung haben können (kritisches Denken in Mathematik kann sich von kritischem Denken in Kunst unterscheiden); (b) Schüler in einem Bereich gut im kritischen Denken sein können, aber vielleicht nicht in einem anderen, da kritisches Denken am meisten von dem Wissen abhängt, über das man dann kritisch nachdenken kann; und (c) es nicht notwendig ist, separate Lehrplanbereiche für diese Denkfähigkeiten zu entwickeln (was einige Länder jetzt tun, möglicherweise um bei internationalen Tests für diese Fähigkeiten gut abzuschneiden), sondern diese Fähigkeiten müssen ein integraler Bestandteil jedes Bereichs sein.
In recent debates, there has been a revisiting of these notions under the banner of twenty-first-century skills. There are many permutations of twenty-first-century skills, but they typically involve creativity, critical thinking, problem-solving, communication, and collaboration. The claim here is that these thinking skills need to be developed within the various curricula content, as (a) they can differ in meaning depending on the content (critical thinking in math can be different from critical thinking in arts); (b) students can be good at critical thinking in one domain but perhaps not in another, as critical thinking is most dependent on the knowledge to then critically think about; and (c) there is no need to develop separate curricula domains of these thinking skills (which some countries are now doing, possibly to perform well on international tests of these skills), but these skills need to be an integral part of each domain.(Seite 153f)
Ähnlich in Kapitel 10, in dem er das Curriculum als mit the hottest contested areas in schools bezeichnet und von der falschen Dichotomie zwischen wertvollem Wissen und den 21st Century Skills spricht. Die entsprechende Passage enthält noch mehr spannende Aspekte, weshalb ich sie vollständig zitiere:
There are many major curriculum tensions, such as the sometimes competing commitment for both equity and excellence; the false dichotomy between precious knowledge and twenty-first-century skills; the fight between back to the basics and a deep and meaningful curricula; the notion that all curricula should be sprinkled over all students as if all of them need the same exposure and content; the sorting by age as if all same-age students are ready, want, and need to learn at that time; the lack of alignment between what the nation tests and what aspirations are claimed in the curricula; the never-ending adding to the curricula every time there is a social crisis and rarely deleting anything; the notions of college readiness to vocational or university destinations, given so many more students are staying till the end of high school; and the emphasis on building people and not just abstracted minds. (S.248)
Schluss
Damit dürfte deutlich geworden sein, warum ich die genaue Betrachtung der 21 Century Skills in der Kategorie “Neusprech” führe. Es handelt sich allem Anschein nach um ein modisches Konzept, das mit wohlklingenden, aber unklaren Begriffen hantiert und so tut, als würde es den Lehrenden helfen, die Schülerinnen und Schüler auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten. Vielleicht hat es das Potenzial dazu, aber so wie es sich derzeit präsentiert, ist es für die Schulen untauglich.
1 comments On Neusprech #14: “21st Century Skills”
Alles, was sich einfach definieren, messen und beurteilen lässt, wird in Zukunft automatisiert werden. Was messbar ist, soll gemessen werden! Was nicht oder schlecht messbar ist, darf dadurch aber nicht an Wert und Aufmerksamkeit verlieren. Genau dieser Fehler bremst seit Jahrzehnten massiv die Weiterentwicklung von Schule.