Initiative #25: Am Freitag wird gestreikt

greta_thunberg_sp119Greta geht jetzt freitags nicht mehr zur Schule. Sie streikt – wie ihr Plakat sagt, für das Klima. Inzwischen tun es ihr Tausende von Schülerinnen und Schülern gleich. Manche Menschen haben damit ein Problem. Mein Kommentar dazu.

Was läuft?

Zunächst ein paar Zahlen vom vergangenen Freitag, gefunden hier:

Den Auftakt machten am Morgen in Brüssel 12.500 junge Menschen, die durch die dortige Innenstadt zogen.

Hierzulande gab es von Aachen bis Zweibrücken in 55 Städten Aktionen in recht unterschiedlicher Größe. Am Freitagnachmittag schrieben die Veranstalter auf Twitter von insgesamt 25.000 Teilnehmern deutschlandweit.

Die vermutlich größte Demo gab es mit etwa 4000 Teilnehmern in Freiburg. Auf Twitter bedankten sich dort Schüler bei den Schulleitungen und Behörden, da sie mit der Androhung von Repressalien den Streik erst so ordentlich befeuert hätten.

In Nürnberg gingen mehr als 400 auf die Straße, in Hamburg waren es nach Polizeiangaben, die der NDR zitiert, bis zu 2000, in Hannover haben die Beamten 2300 gezählt, in Hildesheim rund 350. Aus Berlin wird von 1000 Teilnehmern berichtet, die sich vor dem Reichstagsgebäude trafen, aus Mainz werden 1400 gemeldet, aus Kiel 700 bis 1000, aus Leipzig über 700.

Konstruktiver Schulleiter

Uns Schulleiter stellen diese streikenden Schüler/innen vor die Frage: sanktionieren oder unterstützen? Man kann sich auch vor einer persönlichen Stellungnahme drücken und sich für das Weder-noch entscheiden.

Mich hat es, ehrlich gesagt, sehr positiv überrascht, zu welcher Antwort Heinz-Peter Meidinger gefunden hat. Er ist Schulleiter eines Gymnasiums und immerhin Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Laut Bayerischer Rundfunk (BR) hat er sich so geäußert:

“Das ist etwas Positives! Ich freue mich, wenn sich Schüler politisch engagieren.” (Heinz-Peter Meidinger, Schuldirektor Robert-Koch-Gymnasium Deggendorf). Dennoch gehe die Rechtslage vor und es sei ein Regelverstoß, wenn schulpflichtige Jugendliche nicht am Unterricht teilnehmen. Falls es an seinem Gymnasium in Deggendorf zu Regelverstößen komme, wolle er “nicht zuschlagen”, das sei sinnlos, so Meidinger. Vielmehr setzt er auf Diskussionen. Er würde anordnen, dass die Schulschwänzer den verpassten Unterricht am Nachmittag oder Abend nachholen, in Form von Diskussionsrunden zum Beispiel über den Klimaschutz. Engagierte Schüler müssen “aufgefangen” werden und nicht sinnlos bestraft, sagt der Lehrerverbandspräsident.

Das finde ich kreativ. Eher auf die liberale Seite stellten sich auch zwei Frauen, nämlich eine Ministerialbeauftragte und eine Gymnasialleiterin aus Unterfranken (siehe Zitat unten).

Kompromisslos

Den eher unkreativen und rechtspositivistischen – also unpädagogischen – Umgang mit den Streikenden (Verweis! Nachsitzen!) veranschaulicht das folgende Zitat aus der BR-Sendung:

Aber nicht alle, die für den Klimaschutz auf die Straße gehen wollten, konnten das wie ursprünglich geplant tun. So hatte die Schulaufsicht dem Rektor der Grundschule Unterdürrbach die Teilnahme mit Schülern untersagt. Eigentlich wollte Schulleiter Horst Peter etwa 100 Grundschülern zeigen, wie der Einsatz für Natur und Umwelt bei einer Demonstration verläuft. Den Leitern der Gymnasien in Unterfranken hat die Ministerialbeauftragte Monika Zeyer-Müller freigestellt, wie sie auf den Schulstreik reagieren.

Dementsprechend unterschiedlich gehen Gymnasien mit dem möglichen Schulstreik für Klimaschutz um. Der Direktor des Würzburger Friedrich-Koenig-Gymnasiums hat bereits schriftlich mit Verweisen gedroht, andere Schulleiter wollen Teilnehmer der Demo offenbar nachsitzen lassen. Dagegen unterstützt Schwester Katharina Merz als Leiterin des Würzburger St. Ursula–Gymnasiums das politische Engagement ihrer Schülerinnen und hat eine Kompromisslösung gefunden. In Begleitung einer Lehrkraft geht eine 9. Klasse auf die Straße, weil die Klasse sich derzeit im Unterricht mit dem Klimawandel befasst.

Dumpf

Man mag mir diesen Ausdruck verzeihen, aber angesichts dieser Äußerung fällt mir kein passenderer ein:

Fehlzeiten ins Zeugnis!


Im Vorfeld der „Fridays for Future“-Demo in Stuttgart, erklärten die Landesvorsitzenden der Jungen Union und der Schüler Union, Philipp Bürkle (JU) und Michael Bodner (SU),: „Mit Schulschwänzen den Klimawandel zu bekämpfen, ist in etwa so sinnvoll, wie mit dem Staubsauger durch die Sahara zu laufen. Wenn Schüler demonstrieren wollen, können Sie das selbstverständlich gerne tun, aber nicht während der Schulzeit. Die Lehrkräfte haben Schulschwänzen entsprechend konsequent zu ahnden. Um den Lehrkräften ein effektives Vorgehen zu ermöglichen, fordern wir, solche Fehlzeiten zukünftig im Zeugnis festzuhalten.“

So sieht das die Junge Union Baden-Württemberg.

Versuch, das Ganze einzuordnen

Um was geht es denn zum Beispiel juristisch? Wir haben hier die Schulpflicht auf der einen, aber Recht und Gesetz auch auf der anderen Seite.

Schulpflicht

Die Junge Union BW stellt sich ganz auf die Seite der Schulpflicht, wie sie u.a. der Artikel 129 der Bayerischen Verfassung regelt:

(1) Alle Kinder sind zum Besuch der Volksschule und der Berufsschule verpflichtet.

Das nenne ich einen rechtspositivistischen Ansatz. Den Artikel 129 muss man natürlich auch mit dem Gesamtzusammenhang der Verfassung in Beziehung setzen. Das entsprechende Fremdwort allein ist schon für manche Positivisten ein rotes Tuch: relativieren.

Artikel 110 BayVerf: Recht der freien Meinungsäußerung

(1) Jeder Bewohner Bayerns hat das Recht, seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern. An diesem Recht darf ihn kein Arbeits- und Anstellungsvertrag hindern und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht.

Bayerische Schüler/innen sind durchaus “Bewohner Bayerns” und haben grundsätzlich dieses Recht. Es bedarf starker juristischer Argumente, ihnen dies streitig zu machen. Besonders dann, wenn man auch diese Verfassungsbestimmung noch hinzuzieht:

Artikel 113 BayVerf: Versammlungsfreiheit

Alle Bewohner Bayerns haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln.

“Ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis”!

Im Übergangsbereich zwischen jurstischen und pädagogischen Argumenten finden wir den Verfassungsartikel über die Bildungsziele. Die für solche Schülerstreiks/Demonstrationen einschlägigen Begriffe hebe ich hervor:

Artikel 131 BayVerf: Ziele der Bildung

(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.
(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt.
(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.

Damit nicht genug. Unsere Verfassung stützt die Argumentation der Schülerinnen und Schüler auch durch folgende Regelungen (Hervorhebungen von mir):

Artikel 141 BayVerf: Denkmalschutz; Naturschutz; Freier Zugang zu Naturschönheiten

(1) Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist, auch eingedenk der Verantwortung für die kommenden Generationen, der besonderen Fürsorge jedes einzelnen und der staatlichen Gemeinschaft anvertraut. Tiere werden als Lebewesen und Mitgeschöpfe geachtet und geschützt. Mit Naturgütern ist schonend und sparsam umzugehen. Es gehört auch zu den vorrangigen Aufgaben von Staat, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts, Boden, Wasser und Luft als natürliche Lebensgrundlagen zu schützen, eingetretene Schäden möglichst zu beheben oder auszugleichen und auf möglichst sparsamen Umgang mit Energie zu achten, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes zu erhalten und dauerhaft zu verbessern, den Wald wegen seiner besonderen Bedeutung für den Naturhaushalt zu schützen und eingetretene Schäden möglichst zu beheben oder auszugleichen, die heimischen Tier- und Pflanzenarten und ihre notwendigen Lebensräume sowie kennzeichnende Orts- und Landschaftsbilder zu schonen und zu erhalten.

Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen wird also “der besonderen Fürsorge jedes einzelnen” anvertraut und mit den “kommenden Generationen” begründet. Diese kommenden Generationen bestimmen also die Pflicht jedes einzelnen in der Gegenwart. Warum also sollen die Heranwachsenden als die kommende Generation nicht auch jetzt schon über Wege und Mittel bestimmen, wie diese besonderen Regelungen der Bayerischen Verfassung erfüllt werden können?

Wie sieht denn die Gegenwart aus?

In den Augen der zukünftigen Generation ist es um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen schlecht bestellt. Das ist, was sie wahrnehmen, sofern sie nur einigermaßen die Nachrichtenlage mitverfolgen:

  • Deutschland verfehlt die Klimaziele, auf die es sich selbst verpflichtet hat (z.B. Tagesschau).
  • Die EU-Kommission verklagt Deutschland, weil in den Städten die Belastung für Stickoxide und Feinstaub alle Grenzwerte übersteigt (z.B. Süddeutsche Zeitung).
  • Deutschland hat nach wie vor kein Endlager für atomaren Müll aus Kernkraftwerken (z.B. Tagesschau). Und selbst wenn wir eines hätten: Plutonium 239 ist eines der Abfallprodukte bei der atomaren Energieerzeugung und hat eine Halbwertszeit von etwa 24 000 Jahren. Kein Mensch kann über diese Zeiträume eine sichere Lagerung garantieren.
  • Unser Grundwasser wird bedroht – unter anderem durch Überschreitung der Grenzwerte für Nitrat (z.B. Umweltbundesamt).
  • Diverse Autohersteller betrügen ihre Kunden durch den Einbau von “Schummelsoftware”, so dass ihre Fahrzeuge die Umwelt viel stärker belasten als erlaubt. Bislang sind diese Hersteller glimpflich davongekommen.
  • Wir leben in Deutschland gegenwärtig so, als hätten wir 3,2 Erden zur Verfügung. Das zeigt dieses Diagramm des Global Footprint Network:

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Die Liste ließe sich mit vielen beschämenden Beispielen weiter fortsetzen. Ist es ein Wunder, dass Jugendliche auf die Straße gehen, weil sie sehen, dass die politisch Verantwortlichen ihre Aufgaben nach Art 141 BayVerf nicht so wahrnehmen, dass der Schutz der Lebensgrundlagen deutlichen Vorrang hätte?

Müssen sie nicht den Eindruck haben, dass die Spitze der Bundesregierung ihren Amtseid nicht erfüllt, der nach Artikel 56 Grundgesetz lautet:

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“

“Schaden von ihm wenden”?

Politische Prioritäten

Nach jahrzehntelanger Betrachtung der politischen Landschaft glaube ich sagen zu können, dass den Regierenden die kurzfristige Orientierung an den Interessen Zigtausender Betroffener – zum Beispiel der Braunkohle- und Autoindustrie – mehr am Herzen liegt, als die nachhaltige Orientierung am Wohl von Millionen.

Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass zwei Motive im Hintergrund große Wirkung entfalten, nämlich a) der naheliegende und den Horizont auf vier bis fünf Jahre beschränkende Wunsch wiedergewählt zu werden und b) weiterhin ein offenes Ohr und eine offene Hand zu haben für die Großspender aus der Industrie und Wirtschaft. Die Einflüsterungen dieser Lobby sind ja schon soweit sie bekannt sind, immens.  Was läuft da erst im Hintergrund? Die Natur hat bekanntlicherweise keine Lobby.

In Summe

Ich finde viele rechtskonforme Gründe, die dafür sprechen, dass sich Schülerinnen und Schüler für ihre Zukunft engagieren, auch durch Streiks. Wer dies durch simple Verweise aufgrund der Schulpflicht kontert, blendet wichtige Zusammenhänge aus. Ein Blick auf die Bildungsziele unserer Verfassung würde helfen.

11 comments On Initiative #25: Am Freitag wird gestreikt

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