Faktencheck #59: Philologische Nebel

Nachdem ich die Kritik des Philologenverbandes an den Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg kritisiert habe, wollte ich versuchen, die Aussagen der Gymnasiallehrer genau nachzuvollziehen, einen richtigen Faktencheck also. Es zeigen sich Schwierigkeiten aufgrund einiger Unschärfen.

Das ist mein Bezug: Pressemitteilung des Philologenverbands Baden-Württemberg (PhV BW) aufgrund aktueller Berichte von Lehrkräften an Gemeinschaftsschulen (GMS), Stuttgart, 12. Februar 2020, Az. 1911 / 2020-05

Hier zitiere ich die Aussagen (in Ausschnitten) und versehe sie mit meinen Fragen. Vielleicht gibt es jemand, der sie beantworten kann:

Zahlengrundlage

Rückmeldungen von GMS-Lehrern, die der PhV BW in den vergangenen Monaten erhalten hat, legen folgende Schlussfolgerungen nahe:

Rückfragen:

Warum ist das eine unbestimmte Anzahl über eine unbestimmte Zeit? Waren es immer dieselben GMS-Lehrer, die in den „vergangenen Monaten“ berichtet haben? Oder waren es verschiedene, die sich über diesen Zeitraum verteilten? Wie viele also? Waren es nur ausgebildete Gymnasiallehrer, die diese Rückmeldungen gaben? Oder kamen diese auch von anderen Lehrern? Waren es vielleicht nur Mitglieder des Philologenverbandes? Gab es auch positive Rückmeldungen? Wie wäre dann das Verhältnis von positiven zu negativen Rückmeldungen? Was ist mit GMS-Lehrern, die sich gar nicht geäußert haben – muss man das als Zustimmung zu den GMS werten oder als Ablehnung oder als Neutralität?

Schlussfolgerung:

Diese nebulösen Formulierungen legen bei mir die Schlussfolgerung nahe, dass der Wert und das Gewicht dieser „Rückmeldungen“ so unklar ist, dass sich – wissenschaftlich betrachtet – nichts damit anfangen lässt.

Die Verbalbeurteilungen

1. Die Verbalbeurteilungen der Schülerinnen und Schüler werden von vielen Kindern und Eltern nicht verstanden, da sie in der Regel sehr wohlwollend und ermutigend formuliert werden…

Rückfragen:

Sagt wer? Sagen die Eltern (bzw. wie viele davon)? Sagen die Kinder (again: Wie viele davon)? Sagen die Gymnasiallehrer (siehe oben)? Gibt es da wirklich keine Zahlen? Sind „viele“ Kinder und Eltern objektiv viele, also zum Beispiel mehr als die Hälfte? Oder sind es subjektiv viele, also vielleicht 15 bis 20? Werden die ganzen Verbalbeurteilungen nicht verstanden oder nur bestimmte Teile daraus? Zum Beispiel die wohlwollenden und ermutigenden? Sind diese Verbalbeurteilungen vielleicht durchgehend wohlwollend und ermutigend? Oder gibt es auch gemischte mit – ja, was wäre eigentlich der Gegensatz?

Schlussfolgerung:

Die Datengrundlage lässt wiederum keine Einschätzung irgendeiner Realität zu.

Kinder mit Gymnasialempfehlung

2. Kinder mit einer Grundschulempfehlung für das Gymnasium bringen schwächere Schüler oft nicht auf ein höheres Niveau (wie von der GMS-Konzeption vorgesehen), sondern passen sich innerhalb weniger Jahre an das vorherrschende Basisniveau an. Sie lernen an der GMS, dass sich Anstrengung nicht lohnt: Jedes Kind rückt — egal wie schwach seine Leistung ist — immer in die nächste Klasse weiter.

Rückfragen:

„Sie“ lernen, dass sich Anstrengung nicht lohnt – also alle, durch die Bank? Really? Wenn diese Kinder mit Gymnasialempfehlung sich nach unten anpassen – müsste sich das nicht in den Abschlusszahlen nach der 10. Klasse zeigen? Tut es das? Wo hat der Philologenverband die Zahlen? Sind die Zahlen auf einer Folie von Norbert Zeller (siehe unten) falsch? Lügt er, wenn er drunterschriebt „Quelle: Kultusministerium Baden-Württemberg“?

Empfehlung-Abschluss

Ich sehe da einen Rückgang von 12%, die mit Gym-Empfehlung gekommen sind auf 11%, die eine Vers(etzung?) ins Gymnasium geschafft haben – ist von den Philologen vielleicht das eine Prozent gemeint? Oder sind zwischendurch welche ausgeschieden? Wie groß ist eigentlich die Abschulungsquote aus den Gymnasien zum Vergleich? War die Grundschulempfehlung immer angemessen? Gibt es nicht eine deutschlandweite Diskussion über die nicht immer gegebene Qualität von Grundschulempfehlungen? (Zugegeben, das ist eine Suggestivfrage.)

Schlussfolgerung:

Ohne genaue Zahlen kann man mit diesen Ausführungen des Philologenverbandes nichts anfangen.

Disziplinprobleme

3. Praktisch durchgängig werden von den Lehrkräften massive Disziplinprobleme in den Lerngruppen und während der selbstorganisierten Arbeitszeit beklagt, die ein effektives Lernen teilweise unmöglich machen.

Rückfragen:

Ich kann mich jetzt kurz fassen, weil das Muster sich wiederholt: Wie oft ist „praktisch durchgängig“ und ein wie großes Stück ist „teilweise unmöglich“? Wer beurteilt das – die Kollegien? Die Schulleitungen? Eine Evaluation? Die, die immer jammern?

Schlussfolgerung:

Ohne genaue Zahlen kann man mit diesen Ausführungen des Philologenverbandes nichts anfangen.

Manipulationen

4. Einige Lehrer schildern bezüglich der Anmeldenoten zur Abschlussprüfung bzw. für die VERA-Tests die klare Aufforderung ihrer Schulleitung, die Noten zu schönen…

Rückfragen:

Das ist ein massiver Vorwurf, den man nur erheben darf, wenn er wirklich belegbar ist. Ist er das? Falls ja, dann wäre es nur recht und billig, dies auch auf dem Dienstweg der vorgesetzten Behörde zu melden und nicht dem Lehrerverband. Wurde er das? Haben das die „einigen“ Lehrer getan? Wie viele sind „einige“? Waren die alle an einer Schule? Normalerweise gibt man den Beschuldigten auch die Möglichkeit, sich zur Sache zu äußern – ist das hier geschehen?

Schlussfolgerung:

Es ist ermüdend, in dieser Pressemeldung festen Boden unter den Füßen zu suchen. Eigentlich ist es erschreckend,

1) dass der Philologenverband, der doch stets die wissenschaftliche Ausbildung der Gymnasiallehrer in die höchsten Höhen hebt (und damit deren bessere Besoldung verteidigt), sich zu solch wissenschaftlich dürftigen Aussagen überhaupt herablässt;

2) dass der Philologenverband mit solchen Sprachnebeln das Licht der Öffentlichkeit nicht scheut, sondern sogar sucht und

2) dass die Öffentlichkeit solch ein unbelegtes Gerede auch noch ernsthaft diskutiert.

Mein subjektives Fazit:

Mangels Fakten kein Faktencheck möglich.

3 comments On Faktencheck #59: Philologische Nebel

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