Um was geht es?
Es streiten sich der Finanzminister Christian Lindner und der Lottomillionär Kürşat Yıldırım alias “Chico”.
Der Lottomillionär Chico hat gezeigt, dass man auch wesentlich größere Summen durchbringen kann, wenn man keine Bildung hat.
Christian Lindner Quelle
Ich bin schlau auf Straßenart. Lindner würde keinen Tag in der Nordstadt klarkommen.
“Chico” Quelle
CL spricht also dem Lottogewinner “Bildung” ab. Das ist gewagt, wenn er dafür nur die Infos hat, die der Boulevard ausbreitet. Es ist auch gewagt im Hinblick auf Lindners eigene Geschichte.
Um die Überschrift verstehen zu können, muss man die Zeit ein paar Jahre zurückdrehen und sich diesen Beitrag über den jungen CL ansehen. Darin redet er – wie man vermuten darf, mit einem starken Selbstbezug – von einer „Kompetenz, die nicht akademisch domestiziert ist“. WOW, das ist steil!
Ich denke, es ist klar, was gemeint ist: Die Schule ist nicht unbedingt hilfreich für den Erwerb mancher Kompetenzen, die zum Erfolg führen.
Ich teile diese Einsicht. Werfen wir einen Blick darauf, was im Jahr 2015 aus den “nicht akademisch domestizierten Kompetenzen” des Herrn Lindner geworden war:
Immer dieses vermaledeite Unternehmen. Die Moomax GmbH. Mitgegründet von Christian Lindner, heute FDP-Bundesvorsitzender und Fraktionschef im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Bis zum April 2001 war er ein Jahr lang Geschäftsführer dieser erfolglosen Internetklitsche. Ein halbes Jahr nach Lindners Ausstieg meldete das Unternehmen Insolvenz an. Zwei Millionen Euro gingen den Bach runter, 1,4 Millionen davon gingen zu Lasten der Steuerzahler. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hatte dem Risikokapitalgeber Enjoyventure für seine Moomax-Beteiligung das Geld vorgeschossen. Nach der Pleite war alles futsch.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Das lässt nach der Qualität der oben angesprochenen Kompetenzen fragen – und nach den Auswirkungen dieser Pleite auf das Selbstbewusstsein dessen, der Steuerzahlergeld verbrannt hat.
Was soll ich sagen: Er hat sich erneut in die Nesseln gesetzt, diesmal im Jahr 2019 mit seiner berüchtigten Aussage

Dazu habe ich hier das Nötige geschrieben.
Da spricht sich das Selbstbewusstsein eines Politikers aus, der von oben auf die “Kinder und Jugendlichen” herabschaut und ihnen allerlei Kompetenzen abspricht. Gleichzeitig sieht er Verständnis für die globalen Zusammenhänge usw. bei den “Profis”. Da er damit die professionellen Wissenschaftler nicht meinen kann, von denen damals schon über 12 000 eine andere Meinung vertraten als er, spricht er wohl von den Polit-Profis. Was für eine Selbstüberhebung!
Das führt mich zum Lottogewinner Kürşat Yıldırım, der dasselbe sagt wie dereinst der junge Lindner, nur mit anderen Worten:
Ich bin schlau auf Straßenart. Lindner würde keinen Tag in der Nordstadt klarkommen.
Beide reden über außerschulische Bildung. Der eine verwendet so geschwollen, wie man es von einem selbstbewussten Jüngling in der Spätphase der Pubertät erwarten darf, die “nicht akademisch domestizierten Kompetenzen”. Der andere drückt sich da einfacher aus: “schlau auf Straßenart”.
Ist das nicht herrlich?! Beide teilen die Einsicht, dass sich jeder an seine eigene Umwelt anzupassen hat und dass die Schule bei dem einen wie beim andern dazu nichts beigetragen hat.
Das könnte man “der Schule” zum Vorwurf machen: Wozu sind denn überhaupt ihre Lehrpläne gut, wenn das Überleben in einer Wirtschafts- oder Nordstadt-Welt andere Schlauheiten oder Kompetenzen verlangt?
Aber das wäre zuviel verlangt: Unsere Schulen können sich immer nur ein Stück weit auf die Lebensumstände ihrer Schülerinnen und Schüler einstellen. Die einzige Hoffnung, die wir haben: dass die jungen Menschen wenigstens die Schlauheiten erwerben, die ihnen helfen, gut in ihrer jeweiligen eigenen Umwelt klarzukommen.
Wer war darin nun erfolgreicher: Christian Lindner oder Kürşat Yıldırım? Der eine ist als Geschäftsmann wohl gescheitert und als Politiker was geworden, der andere hatte Lottoglück. Selbstbewusst in ihrer aktuellen Umwelt sind sie offensichtlich beide.
Möge ihnen das Schicksal kein Bein stellen!