“Wir wollen und brauchen kein längeres gemeinsames Lernen!”
So kann man die Haltung von CSU und Kultusministerium gegenüber dem auch in Bayern laut werdenden Wunsch nach einer Gemeinschaftsschule zusammenfassen. Die Reihenfolge der Verben ist nicht zufällig: Zuerst kommt das nicht Wollen, dann wird als Begründung das nicht Brauchen nachgeschoben.
Dabei folgt man mehreren Argumentationslinien. An dieser Stelle geht es um die Begründung mit den bayerischen Erfolgen in Schüler-Vergleichsstudien. So hieß es in einem Schreiben aus dem Kultusministerium an zwei CSU-Abgeordnete:
Die in Bayern praktizierte Differenzierung in unterschiedliche Schularten nach Jahrgangsstufe 4 ist erfolgreich. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Bayern regelmäßig Spitzenplätze bei Vergleichsstudien einnimmt. So hat Bayern bei den beiden vom Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) in der Sekundarstufe I durchgeführten innerdeutschen Ländervergleichen jeweils vorderste Plätze belegt.
Der Faktencheck prüft also, ob die Ergebnisse der IQB-Studien richtig wiedergegeben werden.
Klare Antwort: Ja und Nein.
Faktencheck IQB-Studien
Richtig ist: Bayern nimmt bei den zitierten Studien stets Spitzenplätze ein.
Falsch ist: Dieses Argument taugt nicht zur Ablehnung des längeren gemeinsamen Lernens.
Gehen wir ins Detail.
Zunächst eine Korrektur: Das IQB hat nicht zwei, sondern drei Ländervergleiche (LV) durchgeführt, nämlich 2008/09, 2011 und 2012. Es folgten zwei so genannte „Bildungstrends“ 2015 und 2016. Die Ergebnisse für 2016 wurden noch nicht veröffentlicht. Hier ein Überblick über die Spitzengruppen:
Anmerkung: 2015 wurden mehrere sprachliche Bereiche abgefragt; Deutsch Lesen ist hier exemplarisch.
Man erkennt, dass Bayern jedes Mal dabei ist. Aber das sind andere auch.
Nur Bayern hat keine gemeinsamen Bildungsgänge
Alle Bundesländer, auch solche in der den IQB-Spitzengruppen, haben inzwischen Formen des längeren gemeinsamen Lernens als Schulversuch oder als Schulart eingeführt, Schleswig-Holstein beispielsweise 2007, Sachsen 2008, Thüringen 2010. Die einzige Ausnahme bildet Bayern.
Hier ein Überblick über die unterschiedlichen Bezeichnungen:
Nur damit es nicht in Vergessenheit gerät: Beim Wettbewerb „Starke Schule“ stellen Schulen des gemeinsamen Lernens in der Sekundarstufe I in jedem Durchgang Bundes- und/oder Landessieger, was als Hinweis darauf gewertet werden kann, dass die pädagogische Arbeit einer Gemeinschaftsschule nicht per se schlecht sein muss.
Die bayerische Gemeinschaftsschule ist ein Erfolgsmodell
Bayerns Grundschüler zeigen 2011 in der 4, Jahrgangsstufe – also nach einer vierjährigen Phase des gemeinsamen Lernens – Spitzenergebnisse. Welchen pädagogischen oder entwicklungspsychologischen Grund sollte es geben, diese erfolgreiche Art des gemeinsamen Lernens durch den Übertrittsdruck zu sabotieren und die gewachsene Gemeinschaft auseinander zu dividieren? Noch dazu in dem fragwürdigen Versuch Homogenität zu erzielen.
Ursache-Wirkungs-Zusammenhang?
Das oben zitierte Argument funktioniert nur, wenn man einen einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen dem Schulsystem und den Ergebnissen von Schülern in Leistungsvergleichen herstellt. Ob dieser Zusammenhang tatsächlich besteht, ist hochgradig fragwürdig und müsste in wissenschaftlich redlicher Weise erst einmal bestätigt werden. Die verbreitete Kritik an Leistungsvergleichen verweist auf mögliche Verzerrungen der Ergebnisse unter anderem durch
- inhaltliche Unterschiede zwischen Ländercurricula und Testfragenbereichen,
- unterschiedlich gewohnte Testformate,
- unterschiedliche Testvorbereitungen,
- unterschiedlich ausgewählte Schularten,
- unterschiedlich motivierte Schüler/innen,
- statistische Verzerrungen.
Internationaler Vergleich
Im internationalen Vergleich ist längeres gemeinsames Lernen übrigens die Normalität, eine frühe Trennung die Ausnahme (OECD 2004). Auf der rechten Seite der Übersicht finden sich PISA-2012-Spitzenreiter wie Japan, Schweiz, Finnland, Kanada und Polen. Auch Belgien und Niederlande, die ihre Kinder zwei Jahre später als Bayern aufteilen, gehören zur Spitzengruppe.
Internationale Vergleichsstudien
Man kann das bayerische Spitzenplatz-Argument auch noch in einen internationalen Kontext stellen. Die nachfolgende Übersicht zeigt die ersten 17 Rangplätze der letzten PISA-Untersuchung unter Berücksichtigung des Aufteilungsalters. Daraus lässt sich der – sehr zurückhaltende – Schluss ziehen, dass längeres gemeinsames Lernen zumindest keine Spitzenleistungen in internationalen Schulvergleichsuntersuchungen verhindert.
Fazit
Der bayerische Hinweis auf Spitzenplätze in Vergleichsstudien ist kein Argument gegen Formen des längeren gemeinsamen Lernens.
1 comments On Faktencheck #4: Bayerische Spitzenplätze in Vergleichsstudien
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