Berlin zweigliedrig

Berlin hat erfolgreich auf ein zweigliedriges Schulsystem umgestellt. Neben dem Gymnasium gibt es jetzt nur noch die integrierte Sekundarstufe (ISS).

1. Wer behauptet, dass die Umstellung „erfolgreich“ war?

Eine wissenschaftliche Begleitstudie zur Strukturreform, durchgeführt vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, vertreten durch Baumert, Maaz, Neumann, Becker & Köller.

2. Erfolgreich umgesetzte Reformmaßnahmen

Die Umstellung auf das aus ISS und Gymnasium bestehende zweigliedrige Schulsystem erfolgte flächendeckend zu nahezu einem Zeitpunkt. Beide Bildungsgänge bieten alle Abschlüsse in unterschiedlicher zeitlicher Taktung an (Abitur an den ISS in 13, an den Gymnasien in 12 Schuljahren).

Mit der Strukturumstellung konnte die Anzahl der Schulen mit einem besonders hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern, die aufgrund sehr schwacher Leistungen und ihres soziokulturellen Hintergrunds geringere Aussicht auf Bildungserfolg haben, deutlich reduziert werden, nämlich um mehr als die Hälfte.

Bezogen auf die kognitiven Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler ließ sich eine leichte Annäherung zwischen den nichtgymnasialen Schulen, insbesondere im Vergleich zu den bisherigen nichtgymnasialen Schulformen vor der Systemumstellung, feststellen.

Mit der flächendeckenden Durchsetzung des Ganztagsbetriebs an den ISS konnte eine strukturelle Verbesserung der Bedingungen für differenzielle Förderung und Verbreiterung von Lernerfahrungen der Schülerinnen und Schüler erzielt werden.

Infolge der Abschaffung der Klassenwiederholung an den ISS hat sich der Anteil von Neuntklässlerinnen und Neuntklässlern an nichtgymnasialen Schulen, die während ihrer Schulzeit eine oder mehrere Klassen wiederholt haben, von 32 auf 15 Prozent mehr als halbiert.

Der Anteil von Schülerinnen und Schülern, die an den nichtgymnasialen Schulen die Berechtigung zum Übergang in die gymnasiale Oberstufe erworben haben und erwarten, das Abitur zu erwerben, ist deutlich angestiegen.

3. Unverändert

Die Fachleistungen der Schülerinnen und Schüler an den nichtgymnasialen Schulen sind im Umstellungsprozess weitgehend stabil geblieben.

Die Untersuchung motivationaler Merkmale und ausgewählter Aspekte schulischen Wohlbefindens ergab insgesamt betrachtet ebenfalls keine größeren Unterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern vor und nach der Schulstrukturreform.

Der Zusammenhang zwischen familiärer Herkunft und Kompetenzerwerb ist unverändert geblieben.

An der Situation der 15-Jährigen mit besonders schlechten Leistungen in Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften und Englisch (Schülerinnen und Schüler mit kumulierter Kompetenzarmut, auch „Risikoschüler“ genannt) hat sich bisher ebenfalls wenig geändert.

Stabil geblieben ist auch die Gruppe mit besonders guten Schulleistungen. Die besonders leistungsstarken Schülerinnen und Schüler besuchen vor und nach der Schulstrukturreform zu über 80 Prozent ein Gymnasium.

4. Kritisch

Auch nach der Schulstrukturreform existieren noch einige Schulen, die gehäuft von Schülerinnen und Schüler mit ungünstigen Lernvoraussetzungen und weniger lernförderlichen Hintergrundmerkmalen besucht werden.

Der Anstieg der Berechtigungsquoten für den Übertritt in die Oberstufe und der Abiturerwartungen geht nicht mit entsprechenden Anstiegen im Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler einher.

Die Untersuchung der Fachleistungen an den Gymnasien offenbarte für die Neuntklässlerinnen und Neuntklässler mit Ausnahme der Englisch-Kompetenzen rückläufige Leistungen.

5. Herausforderungen und Fazit

Die vorliegenden Befunde der BERLIN-Studie machen deutlich, dass mit der Neuordnung des nichtgymnasialen Schulbestands zwar bereits erste Teilerfolge erzielt werden konnten, eine erfolgreiche Schulstrukturreform jedoch noch keinen verbesserten – fördernden und fordernden – Unterricht und ebenso wenig die optimale Gestaltung und Nutzung des Ganztagsbetriebs garantiert. Sie schafft aber strukturell günstige Voraussetzungen, um den Reformprozess fortzusetzen, der auf die Optimierung der pädagogischen Arbeit und einen Chancenausgleich zielt.

Als abschließendes Gesamtfazit lässt sich damit festhalten, dass mit dem neuen zweigliedrigen Schulsystem relativ reibungslos ein zukunftsfähiger Rahmen etabliert wurde. Die Studienergebnisse weisen nun frühzeitig und gezielt darauf hin, dass sich die Potenziale der Reform besser nutzen lassen und die Umsetzung optimiert werden kann. Mit einer strukturellen Neuordnung des Schulwesens wird eine Reform nicht beendet, sondern begonnen. Die Herausforderungen der Optimierung der Entwicklungsprozesse liegen in der pädagogischen Arbeit der Schulen und der fachlichen Qualifikation des Personals.

 

Alles Zitate aus:

Baumert, J., Maaz, K., Neumann, M., Becker, M. & Köller, O. (2017, 15. März). BERLIN-Studie: Zentrale Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitstudie zur Berliner Schulstrukturreform. Zusammenfassung für die Presse (DIPF, MPI für Bildungsforschung & IPN, Hrsg.), Berlin.

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