Alle deutschen Bundesländer stehen vor der Aufgabe, der schon in der Grundschule beginnenden soziale Segregation entgegenzuwirken, indem Schulen in schwieriger Lage besondere finanzielle und andere Unterstützung erhalten. Mit diesen Bemühungen stehen wir erst am Anfang.

Horst Weishaupt, Emeritus vom DIPF, stellt in einem Aufsatz die derzeit noch äußerst unbefriedigende Lage dar. Es folgen einige Auszüge als Zusammenfassung der Untersuchung.
Weishaupt, H. (2016). Schulen in schwieriger Lage und Schulfinanzierung. Die deutsche Schule 108 (4), 354–369.
Das Problem
Wohnsegregation plus Schulartdifferenzierung
Durch die Wohnsegregation in der Grundschule, die sich durch die Schulartdifferenzierung in der Sekundarstufe noch verstärkt, sind die Unterschiede in der sozialen Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler ein lange bekanntes Problem des deutschen Schulwesens: soziale Benachteiligung ist nicht zuletzt vermittelt über die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft von Schulen. Durch die Marginalisierung der Hauptschule (Trautwein/Baumert/Maaz 2007) und zunehmende soziale Segregationsprozesse in den Städten, die verbunden sind mit einer Konzentration der Armut auf Migranten und Kinder, hat sich im letzten Jahrzehnt die Situation noch zugespitzt (Baur/Häußermann 2009). (Weishaupt 2016, S. 354)
Segregation wird von Verwaltungen noch begünstigt
Zunehmend wird über Strategien von Eltern berichtet, die über Gestattungen oder die Wahl einer Privatschule (Weishaupt/Kemper 2015; Kann/Rothe i. E.) versuchen, gezielt eine gewünschte Schule zu wählen und die öffentliche Schule in der Nachbarschaft zu umgehen. Die Schulverwaltungen stellen sich diesen Entwicklungen nicht entgegen, sondern begünstigen sie häufig noch. Dadurch kann es nicht verwundern, dass die soziale Segregation zwischen der Schülerschaft der Grundschulen größer ist als zwischen der Bevölkerung in den Wohnquartieren (Morris-Lange et al. 2013). (Weishaupt 2016, S. 354)
Lösungsansätze
Standortspezifisch zusätzliche Ressourcen zuweisen
Für Bildungseinrichtungen in benachteiligten Stadtvierteln oder mit hoher sozialer Belastung sollten zusätzliche standortspezifische Ressourcen zugewiesen werden, damit durch die soziale und ethnische Zusammensetzung der Schülerschaft bedingte Standortnachteile ausgeglichen werden können. Sogenannte „Brennpunkt-Schulen“ stehen vor der Herausforderung, ihre Schülerschaft dabei zu unterstützen, die – aufgrund außerschulischer und schulischer Faktoren vorhandenen – Leistungsdefizite zu kompensieren, denn nationale und internationale Leistungsstudien haben gezeigt, dass die soziale Komposition von Lerngruppen einen statistisch bedeutsamen Einfluss auf das Leistungsniveau und Lernergebnisse der Schülerschaft hat (Dumont et al. 2013). Eine auf den variierenden Bedarf ausgerichtete Ressourcenausstattung der Schulen kann die Grundlage dafür bilden, den Zusammenhang zwischen erschwerten Kontextbedingungen und den Bildungschancen der Schülerschaft zu entkoppeln und insofern als Steuerungsinstrument einen Beitrag dazu leisten, Bildungsbenachteiligungen auszugleichen. (Weishaupt 2016, S. 358–359)
Die KMK sieht das Problem und verschiedene Lösungsansätze
„Die Länder sind sich bewusst, dass Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund auch einen höheren Aufwand betreiben müssen, um Integrationsarbeit im erforderlichen Umfang leisten zu können. Es besteht deshalb Einigkeit, dass für diese Schulen auch spezifische Mittel bereitgestellt werden, sei es durch Senkung der Frequenzen, Erhöhung des Lehrpersonals oder Unterstützung der Lehrkräfte durch sozialpädagogische Fachkräfte der Jugendhilfe. Diese Schulen benötigen besonders qualifiziertes Personal.“ (Sekretariat der KMK 2007, S. 4). (Weishaupt 2016, S. 359)
Reale Umsetzung
Vorbildliche Indizierung in Hamburg
Das elaborierteste Verfahren zur Ermittlung der sozialen Situation einzelner Schulen hat Hamburg entwickelt. Dort wird ein Sozialindex schulscharf auf Basis von Schüler- und Elternbefragungen ermittelt. Die Erhebungen beinhalten Variablen über die Herkunft der Eltern sowie zum ökonomischen, kulturellen und schulbezogenen sozialen Kapital im Elternhaus. Die schulbezogenen Variablen werden um stadtteilbezogene Strukturdaten ergänzt, die die sozialräumliche Lage der Schulen charakterisieren. Die Schulen werden nach dem Sozialindex sechs Gruppen zugeordnet (Schulte/Hartig/Pietsch 2014) und danach sowohl für ihre Grundbedarfe als auch für bestimmte Fördermaßnahmen differenziert Personalressourcen für folgende Maßnahmen zugewiesen (Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung 2013):
· Grundbedarfe für Unterricht in Grundschulen (Absenkung der Klassenfrequenzen bei einem Sozialindex von 1 und 2 auf 17 Schülerinnen und Schüler),
· Allgemeine Sprachförderung (Vorschulen, Grundschulen und Stadtteilschulen/ Sekundarstufe I),
· Ganztagsberechnung (Jahrgangsstufen 1-4 der Grund- und Stadtteilschulen),
· Inklusion (Vorschulen, Grundschulen und Stadtteilschulen/Sekundarstufe 1), nach Sozialindex gestufte Zuweisung für sonderpädagogische Förderbedarfe;
· Sekretariatskapazitäten (Vorschulen, Grundschulen, Sekundarstufe I und II).
In keinem anderen Bundesland in Deutschland gibt es eine vergleichsweise weitgehende sozialindexgesteuerte Ressourcenzuweisung an Schulen (Tillmann/Weishaupt 2015). (Weishaupt 2016, S. 359)
Bayern und Hessen: intransparente Ressourcenzuteilung
Nicht selten ist die Ressourcenzuweisung an die Schulen intransparent, weil nicht alle Länder die entsprechenden Verfahren offen legen (z. B. Bayern und Hessen veröffentlichen nicht die Verordnungen zur Lehrkräftezuweisung) und den Schulaufsichtsbeamten meist ein individueller Handlungsspielraum eingeräumt wird. (Weishaupt 2016, S. 360)
Indexgesteuerte Verfahren sind insgesamt stark unterentwickelt
Aber kein Land sieht bei der Zuweisung dieser Mittel eine Zusatzzuweisung an Schulen in schwieriger Lage vor. Insgesamt sind Verfahren einer indikatorengesteuerten Finanzierung der einzelnen Schulen nach spezifischen Bedarfen stark unterentwickelt (Morris-Lange 2016). (Weishaupt 2016, S. 360)
Wirkt die indexbasierte Ressourcenzuteilung überhaupt? Es gibt keine Evaluation
Es ist bisher auch nicht möglich, Aussagen über die Qualitätsverbesserungen zu treffen, die mit bedarfsorientierten Mittelzuweisungen über einen Sozialindex in den Ländern erreicht wurden. Die Länder haben sich bisher um eine entsprechende Evaluation ihrer Programme nicht bemüht. (Weishaupt 2016, S. 360)
Fazit
Wie indexbasierte Mittelzuweisung funktionieren könnte
Eine unterschiedliche Finanzausstattung der Schulen über eine sozialindexgesteuerte Mittelzuweisung ist prinzipiell sinnvoll, um Bildungsbenachteiligungen zu verringern (Gamoran/An 2016; Kidson & Norris 2014). Sie müsste aber wirklich substantielle Mittelumschichtungen bewirken, an zielführende pädagogische Programme gebunden sein und mit Erfolgskontrollen kombiniert werden, um sicherzustellen, dass die beabsichtigten Wirkungen auch erzielt werden. […]
Vor dem Hintergrund der bestehenden Unterschiede in den Ressourcenzuweisungen nach Schulart, die bereits sozial benachteiligend wirken, sind die bisherigen Ansätze völlig unzureichend. […]
Da solche umfassenden Handlungskonzepte mit entsprechenden Umverteilungswirkungen bisher bestenfalls in Bremen und Hamburg (als Stadtstaat ohne kommunale Ebene) erkennbar sind, haben auch sozialindexgesteuerte Mittelzuweisungsansätze bisher eher eine geringe chancenausgleichende Wirkung. (Weishaupt 2016, S. 361–362)
Literatur
Weishaupt, H. (2016). Schulen in schwieriger Lage und Schulfinanzierung. Die deutsche Schule 108 (4), 354–369.