Initiative #48: Schule ohne Schüler

Klingt neu, ist es aber nicht: die “Schule ohne Schüler”. Die erste wurde schon 1983 gegründet. In Schleswig-Holstein. Aber was ist das denn eigentlich? Und wofür hat die Schule den Jakob-Muth-Preis 2014 erhalten?

Die “Schule ohne Schüler” ist ein gut funktionierendes Inklusionskonzept: Es werden nicht die Kinder mit erhöhtem Zuwendungsbedarf in Sonderschulen versammelt, sondern an ihren Heimatschulen unterrichtet. Die Sonderpädagog*innen mit den nötigen Kompetenzen in Diagnose und Förderung kommen zu ihnen. Und das ist es, was sie ausschließlich tun: Sie gehen raus in die kleinen Schulen vor Ort und unterrichten die Kinder dort. Es gibt in dieser Schule zwar noch ein Kollegium, aber keine Kinder mehr. Wie das genau aussieht, erfährt man in einem Interview mit dem Schulleiter des Förderzentrums Schleswig-Kropp Lars Krackert.

Was ist eine “Schule ohne Schüler”?

Schulportal: Eine „Schule ohne Schüler“ – das klingt zunächst paradox. Was genau ist darunter zu verstehen?

Lars Krackert: Genau genommen müsste es „Schule ohne Schüler im eigenen Hause“ heißen. Tatsächlich haben wir 320 Schülerinnen und Schüler, allerdings verteilt auf 23 Regelschulen. An diesen Schulen haben die Kinder einen wohnortnahen inklusiven Schulplatz, trotzdem fühlen wir uns als Förderzentrum für sie verantwortlich. Früher mussten die Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen sehr lange Wege zurücklegen, um in das Förderzentrum zu kommen. Jetzt kommen die Lehrkräfte zu ihnen. Insgesamt besteht unser Kollegium aus 50 Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen. Einige arbeiten an mehreren Schulen in der Region, andere sind nur an einer Schule tätig.

KInder high five
Die Kinder werden nicht getrennt. Schule Foto erstellt von freepik – de.freepik.com

Wie ist die Schule organisiert?

Existiert das Förderzentrum also eher abstrakt als Verwaltungseinheit?

Krackert: Nein, wir sind organisiert wie andere Schulen auch. Wir nutzen gemeinsam mit einer Kita und dem Jugendaufbauwerk ein Gebäude. Dort haben wir eine Lehrerlounge, Postfächer, Materialsammlungen, eine Bibliothek, Schulungsräume und auch Unterrichtsräume, in denen temporäre Intensivkurse mit den Schülerinnen und Schülern stattfinden können. Wir haben auch eine Schulkonferenz und eine Elternvertretung.

Wie sind die Sonderpädagog*innen eingebunden?

Sind die Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen dann trotzdem in den Kollegien der Regelschulen integriert, oder laufen sie dort eher nebenher?

Krackert: Die Lehrkräfte sind vor Ort stark eingebunden und auch gut integriert. Das ist uns wichtig. Wir versuchen deshalb, die Lehrkräfte so lange wie möglich an einer Schule zu lassen und selten zu wechseln. Diese Kontinuität ist auch für die Schülerinnen und Schüler wichtig. Eine Rotation lehnen wir ab. Die Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen arbeiten immer gemeinsam mit einer Kooperationslehrkraft. Auch hier ist der Austausch sehr wichtig. In den Kooperationsvereinbarungen ist klar geregelt, dass unsere Lehrkräfte an den Einsatzschulen beispielsweise einen festen Platz im Lehrerzimmer haben, das war anfangs nicht selbstverständlich.

Geht das mit Förderplänen?

Krackert: Zu Beginn hatten die Fachkräfte oft das Gefühl, dass die Energie verpufft, wenn man nur für kurze Zeit mit dem Kind im Unterricht zusammenkommt. Die Schülerinnen und Schüler selbst hatten oft den Sinn der Förderung nicht verstanden. Das haben wir geändert, indem wir stärker auf zielorientiertes Lernen setzen. Die eher formalen Förderpläne wurden abgelöst von Zielvereinbarungen, die gemeinsam mit den Kindern und Eltern in Gesprächen erarbeitet werden. In regelmäßigen Treffen wird dann auf die Entwicklung und Lernerfolge geschaut. Durch diese Gespräche wächst auch die Bindung zu den Schülerinnen und Schülern. Das kostet zwar zunächst mehr Zeit, doch die Lernerfolge haben sich dadurch stark verbessert.

Wie sieht es mit den Ressourcen aus?

Krackert: Ich würde auf jeden Fall an unserem Modell festhalten. Gerade im ländlichen Raum, wo es sehr kleine Schulen gibt, würde viel an fachlicher Expertise verloren gehen, wenn nicht dieser große Pool an Spezialistinnen und Spezialisten da wäre. Nichtsdestotrotz müsste es für eine gute Inklusion deutlich mehr Ressourcen geben. Der Landesrechnungshof in Schleswig-Holstein hatte 2017 errechnet, dass etwa 500 zusätzliche Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen für die Inklusion nötig wären. Außerdem müssten die Gemeinden unterstützt werden, wenn es darum geht, die Schulen baulich zu verändern und mit den nötigen Materialien zu versorgen. Gerade kleine Dorfgemeinschaften können diese Kosten oft nicht tragen.

Literaturverzeichnis
Anders, F. (21.01.2021). Eine Schule geht dahin, wo die Schüler sind. Interview mit Lars Krackert.

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