Faktencheck #25: Erfolgsfaktoren

Erfolgsfaktoren“Erfolgsfaktoren der Gemeinschaftsschule Baden-Württemberg”, so nennt Bianca Strohmaier, die Doktorandin für Soziologie und Politikwissenschaft an der PH Schwäbisch-Gmünd, ihre bildungssoziologische quantitative Analyse im Rahmen von WissGem, der wissenschaftlichen Begleitforschung der Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg. 

Genauer lautet ihre Fragestellung: Was bringt Eltern dazu, ihr Kind nach der vierten Klasse auf eine Gemeinschaftsschule zu schicken?

Warum entscheiden sich Eltern für eine Gemeinschaftsschule?

Die folgende Mindmap zeigt Motive, die Bianca Strohmaier in ihrer Studie nennt und erörtert, ergänzt durch einige, die mir zusätzlich noch eingefallen sind.

 

Elterliche Schulwahl

Was steht im Hintergrund?

Zum Verständnis ihrer Erkenntnisse sind einige Hintergrundfaktoren zu beachten:

Untersuchungszeitpunkt

Frau Strohmaier führte die Untersuchung zu einem Zeitpunkt durch, da es nur möglich war, die Eltern und LehrerInnen der ersten beiden Tranchen der Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg zu befragen, also die Jahrgänge 2012/13 und 2013/14.

Zu diesem Zeitpunkt waren die neuen Gemeinschaftsschulen zu 90 Prozent aus Werkrealschulen hervorgegangen.

Was ist “Erfolg”?

Um “Erfolg” statistisch fassbar zu machen, spitzt sie diesen auf zwei Punkte zu:

Erstens den Nettozuwachs, berechnet anhand der Schülerzahlen der untersuchten Schulen zwei Jahre vor und zwei Jahre nach der Einführung der Gemeinschaftsschule.

Zweitens definiert sie als Erfolg, wenn die Schüler/innen aus den abgebenden Grundschulen möglichst vollzählig die nachfolgende Gemeinschaftsschule besuchen. Da sich am Ende der vierten Klasse einer Grundschule alle potenziellen Werkrealschul-, Realschul- und Gymnasialkinder in einem heterogenen Miteinander befinden, zählt es für Strohmaier als Erfolg, wenn eine Klasse der Gemeinschaftsschule ebenso heterogen zusammengesetzt ist. Dies bedeutet ja, dass sie auch von Kindern mit Realschul- oder Gymnasialempfehlung besucht wird.

Strohmaier erläutert ihren Erfolgsbegriff und seinen näheren Kontext mit diesen Worten:

Eine derartige Definition des Erfolgsbegriffs ist rein quantitativer Natur und enthält keine Informationen über die Qualität der pädagogischen oder didaktischen Ausrichtung der neuen Schulform Gemeinschaftsschule. […] Pädagogische Konzepte oder der Lernzuwachs der SchülerInnen, welche auch dem Erfolgsbegriff zuordenbar sind, können im Rahmen dieser Arbeit nicht analysiert werden, würden allerdings als qualitative Elemente den Ertrag dieser Arbeit bereichern. […] Offen bleibt allerdings auch nach Berücksichtigung weiterer Veröffentlichungen der WissGem-Reihe die Frage nach dem tatsächlich messbaren schulischen Lernerfolg. (S. 130)

Ergebnisse

Bianca Strohmaier erkennt generell einen überwiegend guten Ruf der einzelnen Gemeinschaftsschulen aus Elternsicht. Spannend ist die Frage, ob sich der Ruf bestätigt oder verändert, wenn die ersten Jahrgänge nach dem Schuljahr 2017/18 die Sekundarstufe durchlaufen und ihre Abschlüsse gemacht haben. Hier ein Beispiel aus NRW, das zeigt, wie es laufen kann.

Im Einzelnen trifft sie folgende Feststellungen:

Zunehmende Leistungsheterogenität

Obwohl über 90 Prozent dieser Gemeinschaftsschulen aus Werkrealschulen hervorgegangen sind, ist bereits im Schuljahr 2013/14 eine Veränderung des SchülerInnenklientels feststellbar. Dies kann als Indiz für eine gewisse, regional durchaus variierende, Akzeptanz der neuen Schulform Gemeinschaftsschule in der Elternschaft interpretiert werden. (S. 128)

Zahlenmäßiger Zuwachs

Im Vergleich zu den zwei Schuljahren bevor sich die jeweiligen Schulen zu Gemeinschaftsschulen entwickelt haben, können diese im Durchschnitt über alle Gemeinschaftsschulen erster und zweiter Tranche einen Zuwachs von circa 20 SchülerInnen verbuchen. […] lassen sich auch an diesen Zahlen große Diskrepanzen zwischen den einzelnen Gemeinschaftsschulen feststellen. (S. 128)

Räumliche Entfernung

Gemeinschaftsschulen, welche eine größere Entfernung zur nächstgelegenen Realschule oder zum nächstgelegenen Gymnasium aufweisen, haben eine vergleichsweise heterogene Schülerschaft. […] In städtischen Gebieten ist dieser Effekt deutlich größer als in ländlichen Gemeinden. (S. 129)

Das bedarf der Interpretation: Wenn auf dem “flachen Land” eine Gemeinschaftsschule gegründet (also in der Regel eine Werkrealschule umgewandelt) wird, dann verbleiben umso mehr Viertklässler am Ort, je weiter die nächsten Realschulen und Gymnasien entfernt sind (Entfernung wird als verkehrstechnische Erreichbarkeit berechnet). Das ist ein erwartbarer Effekt.

Nicht erwartbar ist, dass dieser Effekt in Städten noch stärker ausgeprägt ist. Es bedeutet vielleicht, dass hier die Eltern noch weniger als auf dem Land bereit sind, ihr Kind auf einen weiten Schulweg zu schicken.

Die nächste Erkenntnis dürfte nicht überraschen:

Ruf der Schule

Der Ruf der Schule beeinflusst sowohl die schulleistungsbezogene Heterogenität der SchülerInnenschaft als auch den Zuwachs an SchülerInnen. (S. 129)

Die entscheidende Rolle des Kollegiums

Strohmaier arbeitet durch ihre Befragungen heraus, dass und in welcher Weise die LehrerInnen maßgeblich für den Erfolg einer Gemeinschaftsschule sind, Erfolg hier wiederum definiert als Nettozuwachs an SchülerInnen und als Integration von SchülerInnen mit Realschul- oder Gymnasialempfehlung.

Haltung des Kollegiums

Je überzeugter das Kollegium die Idee der Gemeinschaftsschule vertritt, desto kognitiv heterogener ist die schulleistungsbezogene Zusammensetzung der SchülerInnenschaft und desto höher ist der Zuwachs an SchülerInnen. Stastistisch gesehen kann die Haltung des Kollegiums einen Zuwachs von bis zu 20 SchülerInnen erklären. (S. 129)

Aus ihren Erkenntnissen leitet sie ab, dass die LehrerInnen nicht nur irgendwie hinter der neuen Schulform stehen, sondern diese auch unbedingt mit weiterentwickeln müssen. Diese Betonung deckt sich mit Ausführungen John Hatties – what works best oder auch mit Überlegungen in bayerischen Gemeinschaftsschulkonzepten, zum Beispiel dem von Donaustauf (S. 16f).

Kollegium mitnehmen!

Auf Grund der hohen Relevanz des Faktors, welche klare Hinweise auf die Motivationslage der Elternschaft bietet, sollte der Haltung des Kollegiums beziehungsweise dem Kollegium an sich bei der Implementation neuer Schulformen oder auch Schulentwicklungsprozessen im Allgemeinen, große Aufmerksamkeit geschenkt werden. (S. 130)

 

Lehrkräfte als Schulentwickler

Die Einbindung der einzelnen Lehrkräfte in den Entwicklungsprozess stellt ein wichtiges Qualitätsmerkmal mit Außenwirkung dar. Das Kollegium muss letztlich die neue Schulform tragen und stellt den wichtigsten Erfolgsfaktor in den Analysen dieser Arbeit dar. […] Der Fokus sollte auf der Beschulung der Lehrkräfte liegen. (S. 134)

Interessant ist, dass Frau Stromaier im Zuge ihrer Befragungen zwar auf einen grundsätzlichen Konsens, aber auch auf eine “nicht unbeachtliche” Skepsis der Kollegien stößt. Diese hängt zum Teil damit zusammen, dass hier viele LehrerInnen neu sind:

Einige LehrerInnen der Gemeinschaftsschulen erster und zweiter Tranche haben zum Erhebungszeitraum noch in keiner Gemeinschaftsschulklasse unterrichtet. (S. 131)

Ob diese Skepsis sich an dem pädagogischen Konzept der Gemeinschaftsschule festmacht oder an den nicht zu leugnenden Schwierigkeiten der Umsetzung, ist für Strohmaier nicht feststellbar.

Ein quasi-Schlusswort:

Pragmatismus vs pädagogische Grundüberzeugungen

Auf Grund des demografischen Wandels und der tendenziellen Abkehr der Elternschaft von der Hauptschule herrscht zwischen den Schulen vor allem im ländlichen Raum ein hoher Konkurrenzdruck. Eine mögliche Überlebensstrategie der Hauptschulen/Werkrealschulen stellt der Wandel zu einer Gemeinschaftsschule mit einem potentiell breiteren (haupt / werkrealschul-, realschul- sowie gymnasialempfohlenen SchülerInnen) Schülerklientel dar. Die Entscheidung zur schulinternen Entwicklung hin zur Gemeinschaftsschule ist daher nicht immer und bei allen künftigen Gemeinschaftsschulen rein pädagogisch motiviert und kann den Entwicklungsprozess der einzelnen Gemeinschaftsschulen beeinflussen. Um die Gemeinschaftsschulidee im Sinne der Grün-Roten Landesregierung umzusetzen bedarf es viel Engagement und Einsatzbereitschaft der beteiligten Lehrkräfte insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass mit Entstehung der ersten Gemeinschaftsschulen weder gültige Lehrpläne noch dementsprechende Lehr- und Lernwerke erhältlich waren. Diese Ambivalenz zwischen standorterhaltendem Pragmatismus und pädagogischen Grundsatzüberzeugungen prägt die Einführung der Gemeinschaftsschule. (S. 132)

Literatur
Strohmaier, Bianca (2017): Erfolgsfaktoren der Gemeinschaftsschule Baden-Württemberg. Eine bildungssoziologische quantitative Analyse. 1. Auflage. Münster: Waxmann (Die Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg – Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung, 2)

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