Faktencheck #101: Neues aus der neuen Hattiestudie (II) – Finanzen

Der Australier John Hattie hat 2009 seine Meta-Meta-Studie Visible Learning veröffentlicht. Seitdem war er weiter fleißig zu Gange, hat zahlreiche Bücher und Aufsätze verfasst und nun, im Frühjahr 2023, das Update zu seiner großen Studie vorgelegt: Visible Learning – The Sequel. In ihr verarbeitet er über 2100 Metastudien, die auf mehr als 130 000 Einzelstudien fußen, an denen insgesamt etwa 200 Millionen Menschen beteiligt waren, vorwiegend natürlich Schüler:innen. In lockerer Folge möchte ich ein paar Einzelergebnisse aus The Sequel wiedergeben.

Welche Auswirkungen haben finanzielle Mittel auf den Lernerfolg?

The Sequel, Seiten 156 – 158

Zur Interpretation dieser neuen Thermometer-Darstellung:

Links steht mit R = 4 ein Hinweis auf die Robustheit des Ergebnisses. Die Skala geht von 1 (gering) bis 5 (hoch), in diesem Fall also gut belastbar.

0.19 im Oval ist die Effektstärke. Der Durchschnitt aller im Buch beschriebenen Effektstärken liegt bei 0.40 (= hinge point, Angelpunkt). Die Finanzen wirken – grob betrachtet – also unterdurchschnittlich.

meta = 6 verweist auf die Anzahl der verwendeten Metastudien,

studies = 228 auf deren zugrundeliegende Einzelstudien,

est. # people = 2,289,626 auf die hohe Gesamtzahl von Studienteilnehmern

effects = die Anzahl der Erwähnungen genau dieses Effekts der Finanzen,

se = 0.08 beschreibt die Standardabweichung.

Differenzierte Betrachtung: Mehr Geld für den Unterricht, weniger für Strukturen (-> Anmerkung)!

Ein Globalwert von d = 0.19 sagt per se wenig Präzises aus. Wichtig ist festzustellen, wo Mittel unproduktiv eingesetzt werden und an welchen Stellen das Lernen durch eine geschickte Finanzierung gestärkt wird. So gibt Hattie die Richtung vor, deutsche Übersetzung (unterstützt von deepL) unter dem Zitat:

Although the meta-analyses seem to indicate that money does not seem to matter much, this would be a misleading conclusion. It is not the amount of money spent that is important but how it is spent. When more is spent on instruction, the effects are higher – this means investing in professional development (…), instructional supplies, and teacher time to collaborate on enhancing their collective impact. In contrast, when more is spent on structural solutions (reducing class size, extending the school year, creating new schooling structures), the effects are much lower.

“Obwohl die Meta-Analysen darauf hinzudeuten scheinen, dass Geld keine große Rolle spielt, wäre dies eine irreführende Schlussfolgerung. Es ist nicht wichtig, wie viel Geld ausgegeben wird, sondern wie es ausgegeben wird.

Wenn mehr für den Unterricht ausgegeben wird, sind die Auswirkungen größer – das bedeutet, in Personalentwicklung (…), Lehrmittel und Zeit für die Zusammenarbeit der Lehrkräfte zur Verbesserung ihrer kollektiven Wirkung zu investieren. Wird dagegen mehr für strukturelle Lösungen ausgegeben (Verringerung der Klassengröße, Verlängerung des Schuljahres, Schaffung neuer Schulstrukturen), sind die Auswirkungen viel geringer.”

Interessanter Aspekt: Unterrichtsassistent:innen

Da wir in unserer aktuellen Not mit dem Lehrkräftemangel vermehrt auf Seiteneinsteiger setzen (müssen), ist es wichtig, sich die ersten Erfahrungen mit Menschen vor Augen zu halten, die als Unterrichtsassistent:innen arbeiten. In diesem Bereich gibt es noch keine Metastudie, deshalb greift Hattie auf die bisher umfangreichste Einzelstudie zurück:

The greatest recent investment in some countries is in paraprofessional or teaching aides… Webster et al. (2015) conducted the most extensive study, which found that teaching assistants have serious unintended negative effects on students’ academic progress. The more TAs support a student receives, the greater the negative impact. Compared with teachers, TAs were more likely to prompt pupils and supply answers, their explanations were sometimes inaccurate or confusing, their focus was more on task completion than on learning or understanding, and they often did the work for the students. The assigned students most often needed the teacher expertise but were more likely to be outsourced to the TA, which led to increased levels of learned helplessness.

“In einigen Ländern wurde in letzter Zeit am meisten in teilprofessionelle oder pädagogische Hilfskräfte investiert… Webster et al. (2015) führten die umfangreichste Studie durch, die ergab, dass Lehrassistenten schwerwiegende unbeabsichtigte negative Auswirkungen auf den Lernfortschritt der Schüler:innen haben.

Je mehr Unterstützung ein Schüler durch Unterstützungskräfte erhält, desto größer sind die negativen Auswirkungen. Im Vergleich zu den Lehrkräften gaben die Lehrassistenten den Schülern eher Aufforderungen und Antworten, ihre Erklärungen waren manchmal ungenau oder verwirrend, ihr Schwerpunkt lag eher auf der Aufgabenerfüllung als auf dem Lernen oder Verstehen, und sie erledigten oft die Arbeit für die Schüler.

Die zugewiesenen Schüler benötigten am häufigsten das Fachwissen des Lehrers, wurden aber eher an den Assistenten ausgelagert, was zu einem erhöhten Maß an erlernter Hilflosigkeit führte.”

Wenn ich das für mich zusammenfasse, heißt es: Quereinsteiger/Assistent:innen zeigen eine Tendenz zur übertriebenen Hilfeleistung und fordern die Schüler:innen zu wenig. Ich denke, das sollte bei der Kurzqualifikation von Quereinsteiger:innen beachtet werden.

Folgerungen für die Schulfinanzierung

Hattie nimmt einen Faden auf, den er in dem schmalen Heft “What doesn´t work in education” schon mal gelegt hatte und dabei auf die OECD Bezug nahm:

Geld allein kann keine gute Bildung erkaufen. Die Frage ist nicht wie viel, sondern: Wohin?

Vergessen wir also die Show-Architekturen neuer Schulen und investieren wir lieber in die Zusammenarbeit der Lehrer:innen; darin sieht die Hattiestudie ein viel größeres Potenzial für guten Unterricht und gutes Lernen mit einer Effektstärke von unglaublichen d = 1.36!

It costs to have teachers work together outside the classroom and within the school day, and it costs to have principals know how to build collective efficacy in their school and with other principals across schools.

“Es kostet, die Lehrkräfte außerhalb der Klassenzimmer und während des Schultages zusammenarbeiten zu lassen; und es kostet, Schulleitungen zu befähigen, diese gemeinsame Wirksamkeit in der eigenen Schule und mit anderen Schulleitungen zusammen aufzubauen.”


Anmerkung zu den “Strukturen”:

Man darf dabei nicht sofort an die Grobstruktur unseres Schulwesens denken und schließen, dass es nach Ansicht Hatties bei dem mehrgliedrigen und exklusiven System in Deutschland bleiben soll. John Hattie geht von einem gemeinschaftlichen (comprehensive) Schulsystem als Normalfall aus und stellt dies nicht in Frage. Eher hat er seine Zweifel am tracking oder streaming, also an der Einteilung der Schülerschaft nach Leistung oder anderen Kriterien. Dazu in einem anderen Beitrag noch mehr und Genaueres.


Hattie, John (2023). Visible Learning: The Sequel. A Synthesis of Over 2,100 Meta-Analyses Relating to Achievement, London and New York, Routledge

ISBN: 978-1-032-46203-5 (pbk)

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