“Perfect Storm” ist der Titel von Dirk Reinhardts neuestem Buch. Es läuft in der Kategorie “Jugendbuch” und ist in meinen Augen ebenso ein Dokument der Zeitgeschichte und – so eigenartig es klingen mag – ein Beitrag zur politischen Bildung wie manches andere seiner Bücher. Ich kenne Dirk Reinhardt von Lesungen, die er bei uns an der Schule gehalten hat. Und nein, das ist keine bezahlte Werbung, sondern ein Feedback eines beeindruckten Lesers.
Perfect Storm

Worum geht es? Hier die Inhaltsangabe des Verlags:
Sechs Jugendliche, die über die ganze Welt verstreut sind – Dylan aus San Francisco, Luisa aus Kolumbien, Felix aus Berlin, Boubacar aus dem Kongo, Kyoko aus Tokio und Matthew aus Australien –, finden im Internet in einem Fantasy-Rollenspiel zusammen. Alle sechs stehen eher auf der Schattenseite des Lebens. Nur in den Abenteuern, die sie gemeinsam bestehen, sind sie erfolgreich, und zwar so erfolgreich, dass es ihnen bald nicht mehr reicht, ihre Fähigkeiten nur im Spiel unter Beweis zu stellen.
Einer von ihnen, Boubacar, hat fast seine ganze Familie im Bürgerkrieg des Kongo verloren. In dem Chatroom, den die sechs sich im Internet eingerichtet haben, erzählt er den anderen davon. Die sind schockiert und entrüstet. Boubacar hat herausgefunden, dass zwei große Konzerne aus den USA in den Bürgerkrieg verwickelt sind und gut daran verdienen. Und so beschließen die sechs, ihr nächstes Abenteuer in der Realität anzusiedeln und die beiden Konzerne anzugreifen, um sie für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen.
Anfangs erscheint ihr Vorhaben aussichtslos, wie eine Mission Impossible: sechs Jugendliche, ohne Geld, ohne Beziehungen, ohne Hilfe, gegen zwei milliardenschwere Weltkonzerne. Doch dann zeigt sich, dass jeder von ihnen über ganz besondere Fähigkeiten verfügt. Für sich allein genommen, scheinen diese Fähigkeiten nicht viel zu bedeuten. Aber als die sechs sie vereinen, da gelingen ihnen plötzlich Dinge, die sie sich nicht einmal selbst zugetraut hätten.
Über ihre Aktionen geraten sie bald ins Visier der NSA, des amerikanischen Geheimdienstes. Der junge Agent Jacob O’Connor, der selbst aus der Hackerszene stammt, erhält den Auftrag, sie zu identifizieren und zu finden. Es ist die Chance, auf die er schon seit Langem wartet. Jetzt kann er beweisen, dass er der Beste ist. Dass er jeden finden kann. Jeden, den er sucht.
Die Aktionen der sechs werden nach jedem Erfolg, der ihnen gelingt, noch ausgeklügelter und gewagter und halten schließlich die ganze Welt in Atem. Zugleich zieht sich, von ihnen zunächst unbemerkt, die Schlinge um ihren Hals immer enger zusammen. Als ihnen klar wird, in welcher Gefahr sie schweben, ist es schon fast zu spät. Sie haben sich Feinde gemacht, die ihnen nie vergeben werden. Aus ihrem Abenteuer ist ein Spiel auf Leben und Tod geworden.
Mein Schreiben an Dirk Reinhardt
Lieber Herr Reinhardt,
jetzt, da ich Ihren Perfect Storm zu Ende gelesen habe, möchte ich Ihnen gleich ein Feedback dazu geben, das erklärt, warum mich dieses Buch – obwohl ich vermutlich nicht zur primären Zielgruppe zähle – so eingefangen hat.
Sie verarbeiten darin gleich mehrere zeitgeschichtliche Ereignisse und Strömungen: Julian Assange und Wikileaks werden ja direkt angesprochen, und auch Edward Snowden steht teils zwischen, teils auf den Zeilen. Das Erschütternde an diesen Personen und ihren Enthüllungen ist ja die Tatsache, dass sie als Enthüller wesentlich schärfer verfolgt werden als die gesetz- und verfassungswidrigen Verhaltensweisen, die sie entlarvt haben. Diesen Gesamtkomplex haben Sie in Ihrem Buch authentisch dargestellt ohne moralisch anklagend zu werden; es reicht ja einfach, dies zu beschreiben, und darauf beschränken Sie sich.
Für die jungen Leser/innen ist vermutlich nicht nachzuvollziehen, dass das Verhalten, das Sie mit Liberty Bells verbinden, in der nicht allzu fernen Geschichte auch von Blackwater (Irak, Abu Ghraib) an den Tag gelegt wurde: ein politisch-militärisch-wirtschaftlicher Komplex, der trotz aller Enthüllungen einfach immer weitermachen kann und der – so blöd ich das finde – tatsächlich als „deep state“ bezeichnet werden kann.
Aufgrund der Robustheit dieser Verbindungen und ihrer heimlichen Macht ist in mir beim Lesen Ihres Buches auch immer wieder diese bekannte Wut hochgekocht, dass „man“ (also wir Bürger) diesen Leuten so wenig ans Leder kann.
Was ich damit sagen will: In meinen Augen haben Sie das alles hervorragend getroffen, wohl auch deshalb, vermute ich, weil Sie selbst davon betroffen sind und im Schreiben Ihre Möglichkeit sehen, einen Beitrag zur notwendigen Transparenz zu liefern. Das ist Ihnen aus meiner Sicht sehr gut gelungen.
Dazu passt die Darstellung: Sie bilden eine Collage aus unterschiedlichen Textsorten (Erzählung, Protokoll, Zeitungsbericht…), die auch formal zu den Enthüllungen passt, die Sie bieten. Das ist nahe an den Dossiers, die ich in der Süddeutschen Zeitung zu ähnlich gelagerten Betrügereien lesen konnte/musste. Auch darin sehe ich eine große schriftstellerische Leistung der Kongruenz von Form und Inhalt.
Während des Lesens habe ich mir schon überlegt, ob Ihr Buch ein Happy End haben dürfte, denn Wikileaks hat keines, Snowden auch nicht. Mit Jacob / Cincinnatus haben Sie eine glaubwürdige Wende hingekriegt, die auf die Biographie von Snowden (Permanent Record) passt. Auch er hat diese Wende vollzogen und aus ähnlichen Gründen. Ich habe das Thema von enthusiastischer Verwicklung – Erwachen – Enthüllung auch in Brittany Kaisers autobigrafischem Bericht über Cambridge Analytica wahrgenommen. Also sehe ich Sie auch an diesem Punkt als authentischen Chronisten unserer Gegenwart.
Was mich in der Realität und in Ihrem Buch gleichermaßen erschüttert, ist die Tatsache, dass man den beschriebenen Machenschaften mit legalen Mitteln nicht beikommen kann, so dass die Whistleblower von vorneherein nur aus dem Verborgenen und dem Rechtsbruch heraus die notwendige Transparenz herstellen können. Von daher ist es passend, dass Ihre Protagonisten so jung sind, dass sie sich darüber erst mal keine Gedanken machen. Und es ist nur konsequent, dass dann die bloßgestellten Organisationen und Staaten mit allen juristischen Mitteln und unter Verwendung realitätsverbiegender Behauptungen zurückschlagen. So sehr mich aus der Identifikation mit Ihren Hauptpersonen heraus der Tod Dylans mitgenommen hat, so wichtig ist es dazustellen, dass die im Schatten agierenden Organisationen („No Such Agency“) tatsächlich zu allen Mitteln greifen, weil sie sich dazu aus Gründen der Staatsraison berechtigt sehen.
Was mich immer wieder zum anerkennenden Lächeln brachte, ist der Rechercheur Dirk Reinhardt, denn ich stelle mir vor, wie Sie sich in die Arbeitsweise und den Slang der Hackerszene ebenso tief hineingearbeitet haben wie damals in Südamerika, als Sie die Trainkids besuchten. Respekt! Die Hacking-Hinweise auf Ihrer Website passen ins Bild: Auch das ist eine Art von politischer Bildung, und das meine ich ernst. So, Sie merken, warum es mir wichtig war und ist, Ihnen zu zeigen, was Ihr Buch in mir alles berührt und erregt hat. Dafür sage ich Danke und wünsche dem Buch eine weite Verbreitung!
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