Faktencheck #107: Zu doof, um es selbst zu merken.

Die Menschen neigen dazu, ihre Fähigkeiten in vielen sozialen und intellektuellen Bereichen übermäßig positiv zu bewerten. Die Autoren vermuten, dass diese Überschätzung zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass Menschen, die in diesen Bereichen unfähig sind, doppelt beeinträchtigt sind: Diese Menschen ziehen nicht nur falsche Schlüsse und treffen unglückliche Entscheidungen, sondern ihre Inkompetenz raubt ihnen auch die metakognitive Fähigkeit, dies zu erkennen.

Kruger/Dunning, S. 1121, Übersetzung mithilfe von DeepL

Kruger, J. & Dunning, D. (1999). Unskilled and Unaware of It: How Difficulties in Recognizing One’s Own Incompetence Lead to Inflated Self-Assessments. Journal of Personality and Social Psychology (6), 1121–1134.


Studie 1 (Humor)

Ihre Erkenntnisse fassen Kruger und Dunning im folgenden Diagramm zusammen (überarbeitete Version aus einem Vortrag von 2017).

Quelle: „Why ignorance fails to recognize itself“ Featuring David Dunning

Die senkrechte Achse gibt die Zuversicht (confidence) an, die waagrechte Achse die gemessenen Fähigkeiten. Die rote Linie zeigt die Selbsteinschätzung der Probanden (in der Humor-Studie 65 Studenten), die blaue Linie ihre tatsächlichen Fähigkeiten. Deutlich wird, dass untersuchte Personen aus dem untersten intellektuellen Viertel ihre eigenen Fähigkeiten weit überschätzen. Oder in den Worten der Verfasser:

Those who performed particularly poorly relative to their peers were utterly unaware of this fact.

Kruger/Dunning, S. 1124

Und, allgemein gesprochen: Je klüger die Menschen werden – auf der horizontalen Skala nach rechts -, desto korrekter schätzen sie ihre geistigen Fähigkeiten ein. Bis es dann wieder inkorrekt wird: Die klügsten Menschen haben in den Untersuchungen von Kruger und Dunning ihre eigenen Fähigkeiten unterschätzt.

Sie leben eher nach dem Motto des Sokrates:

Ich weiß, dass ich nichts weiß.

Hier eine andere Veranschaulichung des Problems:

Quelle: Why Stupid People Think They Are Smart: https://www.youtube.com/watch?v=I9XTox7zlSw&ab_channel=TheArtOfPersonalGrowth

Studie 2 (Logisches Denken)

Diese Teilstudie wurde an 45 Student:innen der Psychologie durchgeführt. Sie mussten einen für Juristen entworfenen Zulassungstest absolvieren und wurden anschließend nach ihrer Selbsteinschätzung gefragt.

Kruger/Dunning, S. 1125

Wieder zeigt sich die Selbstunterschätzung der Leistungsfähigsten bei gleichzeitiger massiver Selbstüberschätzung der Schwächsten. Interessant ist, dass die „Zweitschlauesten“ sich genau richtig eingeschätzt haben.

Test 3 (Grammatik)

Diesmal waren es 84 Student:innen, die an der Testung teilnahmen. Das Ergebnis lautet zugespitzt:

The same incompetence that leads them to make wrong choices also deprives them of the savvy necessary to recognize competence, be it their own or anyone else’s.

Kruger/Dunning, S. 1126

Hier das Diagramm dazu, in welchem sichtbar wird, dass die Klügsten sich noch massiver selbst unterschätzten:

Kruger/Dunning, S. 1126

Studie 4 (Selbsteinschätzung kann man schulen)

140 Student:innen der Cornell-Universität absolvierten einen Test zum logischen Denken. Anschließend wurden sie nach dem Zufallsprinzip auf zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe gab ihre Selbsteinschätzung gleich ab, die andere wurde vorher im logischen Denken noch extra geschult, ehe sie ihre vorherige Testleistung selbst einschätzten. Und das Ergebnis war, dass diese Teilnehmer:innen sich weniger selbst überschätzten und bessere meatkognitive Fähigkeiten zeigten als die ungeschulten Kommiliton:innen. :

Bottom-quartile participants who received training (a) provided less inflated self-assessments and (b) evidenced better metacognitive skills than those who did not receive training.

Kruger/Dunning, S. 1129
Kruger/Dunning, S. 1129

Die Verfasser beenden ihre detaillierte Beschreibung der Vorgehensweise und der Ergebnisse mit einem Zitat von Thomas Jefferson

He who knows best best knows how little he knows.

Aber auch die Klügsten haben ein Erkenntnisproblem: Sie merken nicht, wie gut sie im Vergleich mit anderen sind, weil sie nicht merken, dass die anderen ihnen nicht das Wasser reichen können.

Although they perform competently, they fail to realize that their proficiency is not necessarily shared by their peers.

Kruger/Dunning, S. 1131

Verallgemeinerung

Für Kruger und Dunning bleibt es einigermaßen rätselhaft, dass die Inkompetenten im Lauf des Lebens so wenig angemessene Selbsteinschätzung dazulernen.

One puzzling aspect of our results is how the incompetent fail, through life experience, to learn that they are unskilled.

Kruger/Dunning, S. 1131

Ist es nicht so, dass einem das Leben häufig Feedback gibt, wenn etwas nicht so klappt, wie man es sich vorgestellt hat? Aber das schieben manche Menschen dann nicht auf ihre mögliche eigene Inkompetenz, sondern auf andere Faktoren:

Even if people receive feedback that points to a lack of skill, they may attribute it to some other factor.

Kruger/Dunning, S. 1131

Abgrenzung

Wie gehen wir mit dem Fakt um, dass der berühmte Effekt an nordamerikanischen Student:innen festgestellt wurde: Weder „die“ Nordamerikaner stehen für die Menschheit allgemein, noch die Akademiker:innen. Dürfen wir also die Ergebnisse einfach übertragen auf unsereinen? Vielleicht sind wir Deutschen generell nicht so selbstgewiss wie die jungen Nordamerikaner:innen?

Solchen Fragen begegnen die beiden Autoren mit dem Hinweis auf eine Reihe anderer Untersuchungen zur „Überzuversicht“ (overconfidence), die im Prinzip zu denselben Ergebnissen gelangt sind.

Das wird auch in diesem kurzen TED-Ed bestätigt. Hier erklärt David Dunning, wie er das Problem der Ignoranz sieht: Ignoranz kann sich selbst nicht erkennen! Und nebenbei spricht er auch das Problem des Unterrichtens an: Wenn wir Schüler:innen mit Wissen „füllen“ und dabei nicht sehr sorgfältig agieren, kann es passieren, dass wir sie auch mit overconfidence füllen!

Und was uns selbst betrifft? Da rate ich zur Vorsicht… Immerhin haben Sie diesen Beitrag gelesen und damit Problembewusstsein unter Beweis gestellt 🙂

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