Singapur will mehr als Noten

Was juckt uns Singapur?

Sie werden fragen: „Was interessiert uns das, was in Singapur passiert?“ Dazu muss man wissen, dass Singapur im internationalen PISA-Test 2012 zum problemlösenden Denken am allerbesten abgeschnitten hat. Wir fragen uns also, ob wir von den Besten nicht vielleicht etwas lernen können.

Hier zunächst ein Diagramm, das die ersten Rangplätze mit dem Aufteilungsalter in Verbindung setzt. Es zeigt, dass eine Selektion mit 10 Jahren nicht notwendig ist, um leistungsfähige Schüler/innen heranzuziehen – oder genauer: um in internationalen Vergleichsstudien gut oder sehr gut abzuschneiden. Aber das ist heute nicht unser Thema.

PISA2012

Singapur will etwas Besseres als Noten

Was soll das? Will Singapur etwa seine Top-Platzierung riskieren? Notenfreie Schulen stehen bekanntlich unter Kuschelpädagogik-Verdacht. Man braucht doch Noten, um die Schüler/innen zu objektiven Leistungen zu motivieren. Oder etwa nicht? Über diese Frage lässt sich zumindest streiten, aber das wollen wir an anderer Stelle tun. Jetzt schauen wir, was in Singapur so vor sich geht.

Klären wir erst mal die Quelle - http://www.bbc.com/news/business-39142030. BBC ist keine schlechte Adresse, und die Verfasserin des Artikels ist Dr Lim Lai Cheng, executive director of SMU Academy, Singapore Management University.

Frau Dr Lim Lai Cheng beschreibt das Schulsystem als sehr konkurrenzorientiert: Immer mehr begüterte Familien können ihren Kindern zusätzliche Kurse außerhalb der Schule anbieten, zum Beispiel Enrichment-Klassen in Mathe, Englisch, Tanz und Musik.

Die anderen, die sich das nicht leisten können, sind darauf angewiesen, dass ihre Kinder auf der Grundlage der rein schulischen Angebote sich selbst motivieren und dann zu den anderen aufschließen können.

Die soziale Schere geht immer weiter auseinander, die sozialen Aufstiegsmöglichkeiten sind beeinträchtigt.  Von daher überlegen die Bildungspolitiker Maßnahmen, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Man will wegkommen von der ungesunden Obsession mit Noten und dem Run auf die Top-Schulen. Stattdessen sollen vermehrt Werte in den Mittelpunkt gestellt werden.

Schulerfolg und Kindeswohl

Das bedeutet zum Beispiel für den Primarbereich, dass man auf standardisierte Tests verzichten und sich stattdessen ganzheitlich auf das Kind fokussieren will. Es gibt das schöne Bild einer Doppelhelix, geformt aus den beiden Strängen Schulerfolg und Kindeswohl: Die Unterweisung soll die Kinder zum Ausprägen von Wertvorstellungen und Charakter erziehen, zu einem guten sozialen Miteinander; gleichzeitig sollen sie sich selbst Ziele setzen und darauf hinarbeiten diese zu verwirklichen.

In der Sekundarstufe und höher gibt es das Programm „Werte in Aktion“, das darauf zielt, junge Menschen zur Empathie, zum sozialen Verantwortungsbewusstsein und dazu zu erziehen, als aktive Bürger zur Gemeinschaft beizutragen. Zu diesem Zweck arbeiten die Schüler/innen in Projekten zur Seniorenhilfe, kümmern sich um Arbeitsmigranten oder lesen Schlüsselkindern vor.

Man denkt auch darüber nach, Schüler nicht nur aufgrund ihrer Noten an die Topschulen und Universitäten zuzulassen, sondern auch auf der Grundlage ihres Charakters, der sich beispielsweise als Antrieb, Widerstandsfähigkeit und Leidenschaft äußert.

Kommentar

Interessant ist der Ansatzpunkt: Man will den sozialen Zusammenhalt im Stadtstaat wiederherstellen oder verbessern. Es gibt offensichtlich eine Wahrnehmung dafür, dass unterschiedliche soziale Ausgangsbedingungen bei den Schülern die Leistungsschere auseinanderklaffen lassen. Das wiederum hat zur Folge, dass vorwiegend die Jugendlichen Zugang zu einer höheren Bildung und den später damit verbundenen Aufgaben in hohem gesellschaftlichen Prestige haben, die aus höheren Einkommensklassen stammen. Damit reproduziert das Schulsystem die gesellschaftliche Schichtung, so wie es ja auch bei uns der Fall ist.

Die Verantwortlichen könnten dies einfach hinnehmen und dasjenige mit den Etiketten „Begabung“ oder „Leistungsbereitschaft“ versehen, was aber in Wirklichkeit in hohem Maßen der gesellschaftlichen Position geschuldet ist. Dem  wollen sie mit der Ausbildung von Werten und Charaktereigenschaften gegensteuern.

Das kann auch wieder heikel sein, denn wie will man diese feststellen? Individuell oder standardisiert? Standardisierte Testverfahren für Werthaltungen und soziale Orientierung? Es geht sicher nicht darum, Charakter gegen Noten auszuspielen. Aber wie könnte man beides objektiv und nachvollziehbar so in Einklang bringen, dass die Schüler einen hohen Reifegrad erzielen, der sich zusammensetzt aus den sprichwörtlichen „reifen Leistungen“ einerseits und aus einem hohen Maß an persönlicher Reife andererseits?

Man darf gespannt sein, ob sich die gesellschaftliche Elite darauf einlässt und ihrem Nachwuchs eine stärker sozialwohlorientierte Ausbildung gönnt.

Und es wird interessant sein zu beobachten, wie Singapur bei den nächstens PISA-Tests abschneidet: Was geschieht, wenn sie aus der Spitzengruppe herausfallen, weil Charakter, persönliche Reife und soziale Orientierung eher nicht abgetestet werden (können)?

 

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