Sichtweisen #13: „Gemeinschaftsschulen stürzen ab“?

Leserbrief vom 10. Oktober 2017 – 17:06

Zum Artikel „Gemeinschaftsschulen stürzen ab“ vom 29. September.

Schon der Titel flößt Unbehagen ein. Der unumwindbare Absturz der Gemeinschaftsschulen stünde bevor. Doch was steckt hinter dieser Meldung? Das frage ich mich als Lehrerin einer Gemeinschaftsschulabschlussklasse in Döffingen.

Gerne würde die CDU ihr ungeliebtes Stiefkind, das sie durch den Koalitionsvertrag mit in die Wiege gelegt bekam, wieder loswerden. Strategisch geht das, indem man Meldungen wie diese streut, um Eltern zu verunsichern und sie von der althergebrachten Realschule zu überzeugen.

Das Bild der Realschule als feste Säule der Bildungslandschaft neben einer abstürzenden Gemeinschaftsschule beeinflusst und verunsichert die Eltern. Die Konkurrenz, die zwischen Realschulen und Gemeinschaftsschulen besteht, wird durch die Politik des Kultusministeriums noch verschärft. Realschulen fühlen sich gegenüber den Gemeinschaftsschulen – was die Lehrerversorgung betrifft – benachteiligt. Übersehen aber gerne dabei, dass Gemeinschaftsschulen Ganztagesschulen sind, auf drei – anstatt zwei – Niveaus unterrichten und außerdem den Großteil der Inklusion schultern.

Erfolgreiche Gemeinschaftsschulen stürzen nicht ab. Sie halten ihre Schülerzahlen oder legen sogar zu. In ihnen unterrichten Gymnasial-, Real- und Haupt- und Sonderschullehrer Hand in Hand und fördern die Kinder so individuell wie möglich. Wechselnde Unterrichtsformen – vom Frontalunterricht bis zum selbstständigen Erarbeiten und Wiederholen der Kompetenzen unter Verwendung digitaler Medien – tragen zur optimalen Förderung bei. Das individuelle Führen eines Lerntagebuches und regelmäßige Coachinggespräche tragen zudem erheblich zum Lernerfolg und der Entwicklung der sozialen Kompetenzen bei.

Erfolgreiche Gemeinschaftsschulen sind ausgezeichnete Schulen. So erhielt in diesem Jahr, die „Waldparkschule“ in Heidelberg, im letzten Jahr, die „Freiherr-von-Stein-Schule“ in Neumünster und im Jahr 2013, die Gemeinschaftsschule „in der Taus“ in Backnang den Deutschen Schulpreis.

Am Ende dieses Schuljahres werden die ersten Schüler mit der Mittleren Reife die Gemeinschaftsschule verlassen. Diese Schüler wurden auf ihren weiteren Lebens- und Berufsweg optimal vorbereitet. Sie haben gelernt, selbstständig – alleine und im Team – zu arbeiten, kennen ihre Stärken und Schwächen, sind selbstbewusst, kreativ und engagiert. Das Handwerk, die Industrie und weiterführende berufliche Schulen dürfen sich auf diese jungen Menschen freuen.

Leider hat die Politik es versäumt, diese erfolgreichen Schulen von sich aus zu stützen und zu fördern. So hängt der Erfolg einer Schule zum Großteil von der Beharrlichkeit und dem Engagement der Schulleitung und ihrem Kollegium ab. Einen großen Fehler machte bereits die SPD mit ihrer Politik der Quantität. Ihr Ziel war es, innerhalb einer Legislaturperiode so viele Gemeinschaftsschulen wie möglich zu genehmigen. Eine Schule, die halbwegs ein Konzept und die erforderliche Schülerzahl nachweisen konnte, wurde genehmigt, auch wenn die Qualität noch zu wünschen übrigließ. Anstatt mit einer regionalen Schulreform zu beginnen, wurden Gemeinschaftsschulen in unmittelbarer Nachbarschaft genehmigt. Die regionale Schulreform kam somit zu spät und wurde – als sie dann endlich kam – schulamtsbezogen teilweise nur halbherzig umgesetzt. Jede Gemeinde, deren Haupt- oder Werkrealschule bedroht war, hatte die Möglichkeit zusammen mit ihrer Schule, den Antrag auf die Umwandlung in eine Gemeinschaftsschule zu stellen. Die Schul- und Landratsämter lehnten selten ab, da sie den Konflikt mit ihrer Gemeinde beziehungsweise Schule scheuten.

Erfolgreiche Gemeinschaftsschulen werden im Wachstum gehemmt, da sonst die neue Gemeinschaftsschule im Nachbarort nicht genügend Schüler bekommt. Aktuell zeigt sich diese verfehlte Politik am Beispiel der Gemeinschaftsschule Wutöschingen. Der erfolgreiche Unterricht und die große Nachfrage an diese Schule wurde vom zuständigen Schulamt beschnitten. Schüler wurden abgelehnt. Sie sollten die unterbesetzte Gemeinschaftsschule in Klettgau besuchen. Das Verwaltungsgericht lehnte dieses Verfahren zum Entsetzen des Kultusministeriums ab. Dieses will nun Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof einlegen.

Anstatt den Gemeinschaftsschulen den Absturz zu prophezeien, wäre es dringend an der Zeit, die Qualität und die Regionalität auf den Prüfstand zu stellen. Wir benötigen starke Gemeinschaftsschulen, in denen es genügend Schüler und unterschiedliche Lehrer gibt, um sinnvoll differenzieren und individuell fördern zu können. Auch die Realschulen sollten mit ins Boot geholt werden. Es gibt Schulamtsbezirke, in denen bereits ein Großteil der Realschulen zur Gemeinschaftsschule umgewandelt ist. Diese können dann auf drei Niveaus zu unterrichten und ihre Schüler noch besser fördern.

Was kann eine Schule mehr auszeichnen, als die Zufriedenheit der Eltern, den optimalen individuellen Lernerfolg und die positive soziale Entwicklung der Schüler und Lehrer, die jeden Tag gerne in die Schule gehen?

Antje Kopp, Grafenau

Quelle: http://www.krzbb.de/krz_252_111400430-13-_Politik-versaeumt-erfolgreiche-Schulen-zu-stuetzen.html

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