Fail #35: 70 Prozent werden nicht gebraucht – oder doch?

So richtig spannend wird eine Meldung ja manchmal erst durch ihren Kontext.

Die Meldung

Gymnasiale Einstellungszahlen

Der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) meldet und beklagt die neuen Einstellungszahlen für das gymnasiale Lehramt. Sie zeigen, dass jetzt, im Februar 2019, 70 Prozent aller Bewerber – wie wir in Bayern sagen – „mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen“, also nicht unterkommen. Von den betroffenen 626 BewerberInnen erhalten zusätzlich 71 ein Angebot für die Zweitqualifizierung an Grund- und Mittelschulen.

Zweitqualifikation

Für die, die noch nicht wissen, was mit „Zweitqualifizierung“ gemeint ist: Die JunglehrerInnen sagen zu, dass sie sich im Lauf von zwei Schuljahren an einer Grund- oder Mittelschule umqualifizieren lassen. Am Ende dürfen sie dann, so der Prozess erfolgreich verläuft, als Grund- oder MittelschullehrerIn arbeiten und auf Anstellung hoffen – natürlich zu den üblichen Konditionen, also eine Gehaltsstufe tiefer. Und sie freuen sich auch noch darüber, wenn man dem Foto auf der Website des Kultusministeriums glauben darf.

Zur Ausdrucksweise: Es handelt sich faktisch um eine Umschulung auf eine geringer bezahlte Stelle; doch klingt „Zweitqualifikation“ natürlich entschieden positiver. Auf die Gehaltsunterschiede zwischen den Lehrämtern komme ich weiter unten noch mal zu sprechen.

Der Kontext

Schulischer Alltag

An unserer Schule (410 SchülerInnen) fehlten uns für den heutigen Schultag aufgrund von Erkrankungen/Schwangerschaften 18 Lehrerwochenstunden. Mobile Reserven konnten wir keine erhalten, so mussten wir improvisieren, mitführen, doppelt führen usw. Wir haben es hingekriegt, doch beeinträchtigt das natürlich – trotz des guten Willens aller Beteiligten – die Unterrichtsqualität.

Gestern erfuhren wir auf unserer Rektorenkonferenz, dass alle 45 mobilen Reserven im Landkreis ausgebucht und im Langzeiteinsatz sind; allein 36 davon aufgrund von Beschäftigungsverboten bei Schwangerschaften.

Wir suchen also auf der einen Seite händeringend nach Lehrkräften, und auf der anderen Seite suchen junge PädagogInnen mindestens ebenso händeringend eine Anstellung, aber – oh weh und ach! – die Lehrämter (und Gehaltsstufen) passen nicht zusammen! Vielleicht als Folge von Planungsfehlern?

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht hier eine Lösung im „Stufenlehrer“. So liest sich das dann:

Eine weitere langjährige GEW-Forderung eignet sich ebenfalls, um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken: Anstatt wie derzeit zu viele Gymnasiallehrkräfte und zu wenige Lehrkräfte für andere Schulformen auszubilden, sollten durch Stufenlehrämter Durchlässigkeit hergestellt und alle Lehrkräfte gleich (gut) bezahlt werden. Gymnasiallehrkräfte „schulformfremd“ einzusetzen und dort besser zu bezahlen als ihre Kolleginnen und Kollegen, wie es heute in einigen Ländern Praxis ist – besser kann man nicht vorführen, wie überholt das laufbahnrechtliche Klassendenken ist!

Der BLLV verfolgt ein vermittelndes Konzept mit seiner so genannten „flexiblen Lehrerbildung“. Das beginnt mit einem gemeinsamen Grundstudium (3 Semester) und einer darauf folgenden Ausbildung von Primar- oder Sekundarstufe. Nach dem 6. Semester schließt man mit einer Bachelorarbeit ab und kann sich dann im Zuge des Masterstudiums für die unterschiedlichen Schularten weiterqualifizieren.

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Quelle: BLLV

Es gäbe also Alternativen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass diese prinzipiell nicht zugelassen werden, weil

a) die bislang bestimmende CSU jahrzehntelang ihr Weihwasser gegen diesen Beelzebub verspritzte – wenn man ein Zitat des ehemaligen Kultusministers Maier zugrunde legt, der den Stufenlehrer als „Trojanisches Pferd“ gegen das gegliederte Schulsystem bezeichnete und unbedingt jeden Ansatz von Gesamt- oder Gemeinschaftsschule verhindern wollte. Darauf wurde in diesem Blog vor ziemlich genau zwei Jahren schon einmal hingewiesen.

b) möglicherweise Verbandsinteressen dagegen stehen, denn den verbeamteten Lehrkräften an Realschulen und Gymnasium geht es ja gut damit. Warum sollten sie an den Lehrämtern, der Gehaltsstruktur und dem damit verbundenen Ansehen etwas ändern wollen?

Die Digitalisierungsoffensive

Wenn wir im SchulleiterInnenkreis über den Geldsegen der Digitalisierungsoffensive (oder des Digitalpakts) reden, sind wir uns weitgehend einig: Ist nett, wäre aber jetzt nicht der dringendste Bedarf.


Eine Personalisierungsoffensive wäre wichtiger!


Aber die hat es irgendwie nicht auf die Agenda geschafft…

Alle Jahre wieder

Dass es sich beim Lehrermangel mit gleichzeitigem Überschuss an Referendaren um ein jährlich wiederkehrendes Thema handelt, erkennt man an den Beiträgen…

… von März 2017: Sichtweisen #1: Unterrichtsversorgung

… und Februar 2018: Sichtweisen #22: „Es reicht!“ – „Nicht!“

2 comments On Fail #35: 70 Prozent werden nicht gebraucht – oder doch?

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